Nach zehn Jahren Wühlen am Ziel

Die EU-Richtlinie „Patente auf Leben“ ist verabschiedet. Nach zehn Jahren harter Arbeit hat die Gentechniklobby nun das Parlament doch noch umgestimmt  ■ Aus Straßburg Alois Berger

Der britische Pharmagigant Smith Kline Beecham ließ ein paar Rollstuhlfahrer ins Europaparlament fahren, die in der Gentechnik ihre letzte Chance auf Heilung ihrer Erbkrankheiten sehen. Den Hintergrund dieses Auftritts hatte die Industrie den Abgeordneten schon vorher in unzähligen Briefen eingehämmert. Ohne Patentschutz gebe es keine Forschung und ohne Forschung keine neuen Medikamente und Therapien.

Nie zuvor haben Lobbyisten mit solchem Aufwand an das Gewissen der Europaparlamentarier appelliert wie vor der Entscheidung über die Biopatentrichtlinie. Den Abgeordneten blieb dabei nicht verborgen, daß es der Industrie in erster Linie um die möglichst gewinnträchtige Verwertung ihrer Forschungsergebnisse ging. Schließlich hatten die Wirtschaftsverbände eindringlich davor gewarnt, daß bei einem Scheitern der Richtlinie die als Zukunftsindustrie eingeschätzte Gentechnik aus Europa abwandern würde. Arbeitsplätze seien in Gefahr.

Gerade die Vermengung von medizinischen und wirtschaftlichen Argumenten scheint die Mehrheit der Abgeordneten überzeugt zu haben. Das Parlament beschloß gestern in Straßburg, daß die Entdeckung eines menschlichen Gens und seiner Wirkungsweise patentiert werden kann, wenn der Forscher einen medizinischen Nutzen nachweisen kann. 20 Jahre hat der Entdecker das alleinige Recht, sein Forschungsergebnis kommerziell zu verwerten. Ausgenommen von diesem Patentschutz sind lediglich das Klonen von Menschen, die Forschung an Embryonen zu kommerziellen Zwecken sowie eine Manipulation der Erbsubstanz.

In Ärzte- und Patientenverbänden gab es durchaus Stimmen, daß Patente auf Gene die Forschung keineswegs immer gefördert, sondern häufig auch verhindert haben. So sei beispielsweise die Entwicklung eines Anti-Aids-Medikaments stecken geblieben, weil das dazu nötige Gen durch ein US-Patent blockiert werde.

Zehn Jahre lang war um die Patentierungs-Richtlinie gestritten worden. Der traditionelle Patentschutz umfaßt nur Erfindungen an lebloser Materie. Doch mit der Gentechnik ist die Wissenschaft tief in die Weichteile der Gesellschaft vorgedrungen. Wo Eingriffe ins menschliche Erbsystem möglich sind, blühen Träume und Alpträume. Patienten mit bisher unheilbaren Krankheiten schöpfen neue Hoffnung, Kirchen warnen vor Eingriffen in die Schöpfung, Grüne und Wertkonservative vor den Folgen einer kommerziellen Ausbeutung des Lebens.

Da sich auch Fundamentalkritiker der Gentechnik den medizinischen Hoffnungen nicht ganz verschließen können, konzentriert sich die Diskussion darauf, welche rechtlichen Grenzen der Forschung zu setzen sind. Um ein simples Verbot der Gentechnik ging es schon lange nicht mehr. Es wird bereits an Genen geforscht, und es wird damit Profit gemacht. In den USA, in Japan und auch in einigen EU-Ländern wurden bereits Patente auf die Entdeckung von Zell- Linien vergeben. Für einige Europaabgeordnete ist die EU-Patentrichtlinie deshalb ein Versuch, den Wildwuchs in Bahnen zu lenken und in einen EU-weit einheitlichen Rahmen zu bringen.

1995 hat das Europaparlament den Patentierungsvorschlag der EU-Kommission aus vorwiegend ethischen Gründen mit großer Mehrheit abgelehnt. Das Heilsversprechen auf den Lippen und die kommerzielle Verwertung im Blick, haben die Pharmakonzerne hart daran gearbeitet, die Bedenken zu zerstreuen. Bereits vor einem Jahr stimmte das Europaparlament in erster Lesung der neuen Richtlinie grundsätzlich zu, verlangte aber ein paar Einschränkungen. Der Ministerrat, in dem die 15 Regierungen vertreten sind und der in diesem Fall gemeinsam mit dem EU-Parlament zu entscheiden hat, akzeptierte einen Teil der Änderungswünsche, faßte sie aber bewußt in vage Formulierungen, um der Industrie nicht zu viele Hürden aufzubauen.