Aus für den Marlboro-Man ist beschlossen

EU-Parlament verbietet Tabakwerbung schrittweise ab dem Jahr 2001. Bonn plant Klage vor dem Europäischen Gerichtshof trotz einer halben Million Rauchertoten jährlich in der EU  ■ Aus Straßburg Alois Berger

Peinlicher hätte es für die Europaabgeordnete Dagmar Roth- Behrend nicht kommen können. Die SPD-Frau saß gerade im Parlamentscafé, als der Cheflobbyist der britischen Tabakindustrie vorbeikam. Ohne Rücksicht auf ihren Ruf nutzte er die Gelegenheit, überschwenglich für ihre „hervorragende Rede“ zu danken. Frau Roth-Behrend hatte gerade vor dem Europaparlament das Werbeverbot für Zigaretten als „gesetzgeberisches Armutszeugnis“ verdammt. Nicht, daß die Berliner Abgeordnete im Verdacht stünde, von der Zigarettenindustrie gekauft zu sein, aber für einen Moment fühlte sie sich doch in schlechter Gesellschaft.

Dabei hat Roth-Behrend nur getan, was fast alle deutschen SPD- und alle CDU-Parlamentarier getan haben – sie versuchte, das Werbeverbot in letzter Minute noch aufzuhalten: „Es kann nicht angehen, daß ein legal produziertes und verkauftes Produkt nicht beworben werden darf.“ Es half nichts. Mit großer Mehrheit stimmte das Europaparlament für das Verbot, das in knapp drei Jahren schrittweise in Kraft treten wird. Ab 2002 darf in Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr für das Rauchen geworben werden. Raucheranimation auf Plakaten und an Kiosken soll bereits ein Jahr früher verboten sein. Dagegen dürfen Großveranstaltungen wie Formel-1-Rennen, wo Schumi und Villeneuve telegen für Marlboro und Dunhill rasen, noch bis 2006 von Zigarettenfirmen gesponsert werden.

Heute wäre die Mehrheit im Ministerrat anders

Vor allem die Grünen hätten diese Ausnahmeregeln gerne gekippt. Die Chancen auf eine Mehrheit im Europaparlament wären nicht einmal schlecht gewesen. Doch jede Änderung des Gesetzentwurfs hätte unweigerlich zu einem Vermittlungsverfahren mit dem Ministerrat geführt, in dem die 15 EU- Regierungen vertreten sind. Und dort haben sich die Mehrheiten seit der letzten Abstimmung geändert, das Verbot wäre ziemlich sicher blockiert worden. Denn der Ministerrat hat dem Werbebann nur mit hauchdünner Mehrheit und gegen starken Widerstand aus Bonn zugestimmt.

Um die britische Regierung ins Boot zu holen, mußten die Befürworter beispielsweise die Sonderformel für Motorsportveranstaltungen einflechten. Denn seit der Millionenspende von Formel-1- Chef Bernie Ecclestone für die Labour-Party sorgt sich Premierminister Tony Blair um die Arbeitsplätze an den Rennstrecken, die durch das Werbeverbot gefährdet seien. Bundeskanzler Helmut Kohl war vor allem auf seinen spanischen Freund José Maria Aznar sauer. Nach mehreren Telefongesprächen soll der Spanier dem Kanzler inzwischen zugesichert haben, in einem eventuellen Vermittlungsverfahren das Verbot doch noch abzulehnen. Dazu wird es nicht mehr kommen.

Die Bundesregierung faßt als letzte Möglichkeit, die Richtlinie zu stoppen, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ins Auge. Der soll klarstellen, daß die EU für solche Werbeverbote gar nicht zuständig ist. Gesundheitsvorsorge ist nach Bonner Auffassung weitgehend Sache der nationalen Regierungen. Für das Funktionieren des Binnenmarktes, eindeutig Sache der EU, sei ein europaweites Werbeverbot nicht nötig. Das könne jedes Land für sich regeln, ohne daß es deshalb zu Wettbewerbsverzerrungen komme. Daß die Bundesregierung die EuGH-Klage bisher nur androht mag damit zusammenhängen, daß die juristischen Dienste der EU-Kommission, des Ministerrats und des Europaparlaments das Problem längst durchleuchtet haben. Die Richtlinie sei korrekt, heißt es. Das hat viele Deutsche im Europaparlament nicht davon abgehalten, in finstersten Farben vor der Blamage zu warnen, die das Parlament vor dem Gerichtshof erleiden werde. Es war überhaupt ziemlich auffällig, daß die deutschen Abgeordneten aus CDU und SPD fast geschlossen die Argumente der Tabakindustrie vortrugen.

Deutsche Tabaklobby bearbeitete Politiker

Die französische Christdemokratin Françoise Grossetête konnte sich das nur damit erklären, daß die Tabakkonzerne in Deutschland bekanntermaßen die politische Landschaftspflege besonders sorgfältig betrieben. Nach ihren Informationen würden viele Parteiveranstaltungen durch die Tabakfirmen gesponsert. Die juristischen Argumente seien ohnehin nur „vorgeschoben“, meinte auch der französische Gaullist Christian Cabrol, im Hauptberuf einer der bekanntesten Herzchirurgen Frankreichs. In Wahrheit gehe es um die Interessen der Zigarettenindustrie, die jedes Jahr einer halben Million EU-Bürgern das Leben kosteten. Das noch junge Werbeverbot in Frankreich hätte den Zigarettenkonsum bereits um fünf Prozent reduziert, in Finnland werde von 30 Prozent gesprochen.

Die SPD-Abgeordnete Roth- Behrend hält die Zahlen für überzogen, keine Studie habe bisher die Wirkung von Werbeverboten nachweisen können. Dagegen sei sicher, daß der Werbebann allein in Deutschland 23.000 Arbeitsplätze gefährde. Die Lobbyisten der Tabakindustrie hatten zuvor im Parlament ähnliche Zahlen über den Verlust von Arbeitsplätzen in Umlauf gebracht. Der Ärztliche Arbeitskreis Rauchen und Gesundheit hat diese Zahlenspiele heftig kritisiert. Sie seien grob übertrieben, und außerdem sei es ethisch nicht vertretbar, wirtschaftliche Interessen für Produkte ins Feld zu führen, „die in hohem Maße gesundheitsschädlich sind.“