Ohne Vorwarnung Geldhahn zugedreht

■ Einem Projekt, das Aidskranke wieder auf das Arbeitsleben vorbereiten soll, wurden kurz nach dem Start die Finanzen gestrichen

Das ungetrübte Vergnügen dauerte nur vier Tage – dann kam die Absage. Der dreimonatige Orientierungskurs für HIV-Positive und Aidskranke unter dem Titel „Aids und Arbeit“ wird von der Senatsverwaltung für Arbeit nicht unterstützt. Nach monatelanger Vorbereitung, während der den Initiatoren von der Schwulenberatung „Kursiv“ sowie der Gesellschaft für Integration, Sozialforschung und Betriebspädagogik ISB von allen Seiten Unterstützung signalisiert worden war, folgte nun ohne Vorgespräch der Rückzug. Die Maßnahme sei zu teuer, erklärte die Pressesprecherin der Arbeitssenatorin, Heide Moser. Außerdem sei eigentlich die Sozialverwaltung zuständig, sagt Frau Moser.

Die Sozialsenatorin hat das Projekt auch von Anbeginn unterstützt; verweist aber auf den arbeitsmarktpolitischen Charakter des Kurses. Das Seminar „Aids und Arbeit“ soll HIV-Positiven und Aidskranken, die seit der Einführung der Kombinationstherapie wieder vor der möglichen Perspektive eines langen Lebens stehen, helfen, einen Rückweg in das Berufsleben zu finden (die taz berichtete).

„Die Absage hat uns völlig vor den Kopf gestoßen“, erzählt Seminarleiter Michael Kalter, dessen Stelle immerhin über das Landesarbeitsamt abgesichert ist. In monatelanger Arbeit hat er ein Programm auf die Beine gestellt, das sich sehen lassen kann – von Selbstfindung und Streßtraining bis zu EDV-Unterricht, Bewerbungstraining und Betriebspraktika. Hochmotiviert hatten sich die 20 Männer und drei Frauen zu ihrem ersten Seminartag getroffen. Viele empfanden vor allem das Rentnerdasein als entwürdigend. „Ich bin mir noch gar nicht so sicher, ob und was ich später einmal machen will“, so der 40jährige Stefan, „aber jetzt habe ich wenigstens eine Chance, wieder etwas zu tun. Die meisten von uns haben sich jahrelang abgeschrieben gefühlt.“ Trotz der Absage wollen sich die Teilnehmer so schnell nicht unterkriegen lassen. Mit vereinten Kräften versuchen sie, die veranschlagten 75.000 Mark auf anderem Wege zu sammeln. Sie schreiben Briefe an Stiftungen, rufen wohlhabende Bekannte an, wenden sich an schwulenfreundliche Organisationen, Apotheken und Pharmafirmen. 8.000 Mark sind bisher zusammengekommen; 12.000 Mark fehlen, um das Seminar in abgemagerter Form durchzuführen. Zwei Teilnehmer verkauften etwa im Ku'damm-Karree Polaroids an Touristen.

Als „dramatisch“ bezeichnet Armin Traute von der Berliner Aids-Hilfe die Nichtfinanzierung. „Ein derartiges Pilotprojekt kann man doch nicht scheitern lassen.“ Viele Positive und Kranke seien verunsichert angesichts der wiedergewonnenen Perspektive. Traute verweist auf die andere Seite der Medaille: „Es wäre gefährlich, wenn es jetzt plötzlich heißt, alle Aidspatienten sollten wieder arbeiten. Für viele ist das gar nicht möglich.“ Jeannette Goddar