■ Warum Potsdams Oberbürgermeister Gramlich abgesetzt wurde
: Unwirtliche Stadt, sturer OB

Zum allerletzten Mal hatte Horst Gramlich am Sonntag vormittag jenes Schauspiel abgeliefert, das maßgeblich zu seinem Sturz führte. Er sei sich sicher, daß er nicht abgewählt werde. Die Bürger Potsdams wüßten, was in den letzten acht Jahren geleistet worden sei. Genau diese Mischung aus Arroganz und Realitätsblindheit war es, die Potsdams OB das Amt kostete. Knapp 40 Prozent gingen an die Urnen, 87 Prozent votierten für Gramlichs Abwahl.

Sie wäre wohl nicht so deutlich ausgefallen, wenn die SPD nicht schon Monate zuvor von ihm abgerückt wäre. Unter Gramlich – und dem vor einigen Monaten zurückgetretenen Baustadtrat Detlef Kaminski – wurde ein ehrgeiziges Sanierungsprogramm aufgelegt. Schon zu DDR-Zeiten hatte die SED gewütet: die Hinterlassenschaft sind Betonburgen, denen man alsbald gnädige Sprengmeister wünscht. Heute finden diese DDR-Bauten in und vor der Stadt ihre westlichen Zwillingsbrüder. Am Hauptbahnhof entsteht ein gigantisches Einkaufszentrum. Dieser Bau hätte beinahe dazu geführt, daß Potsdam von der Unesco- Liste des Welterbes gestrichen worden wäre.

Die SPD hat acht Jahre lang dem Treiben ihres Parteimannes ungerührt zugeschaut. Dabei kam ihr Gramlichs verschlossene Persönlichkeit, seine Sturheit, lange Zeit politisch zupaß. Gegen allen Bürgerprotest stützte er die fragwürdigen baupolitischen Vorstellungen Kaminskis. Was da aus dem märkischen Sand wuchs, versprach in der Ödnis Brandenburgs Arbeitsplätze. Viele Potsdamer bewunderten die Klötze, die in den märkischen Sand gestampft wurden. Währenddessen verödete die Innenstadt. Potsdams Baupolitik war die Wiederauflage der bedenkenlos optimistischen 60er Jahre, als Ost und West gleichermaßen ihre Städte verschandelten.

Zu spät wachte Potsdams SPD auf. Es waren – leider – keine ästhetischen Einwände gegen die Bausünden, die sie zur Einsicht zwangen. Den Sturz Gramlichs leiteten die Filzvorwürfe gegen Kaminski ein. Am Ende wurde der OB eiskalt fallengelassen, um einen PDS-Oberbürgermeister zu verhindern. Nun soll der brandenburgische Umweltminister Matthias Platzeck sein Nachfolger werden. Er ist das genaue Gegenteil von Gramlich: offen, redegewandt, kommunikativ. Vor allem aber hat Platzeck nichts gemein mit der verschwiemelten Ostalgie des PDS-Kandidaten Rolf Kutzmutz und mit den größenwahnsinnigen „Visionen“ von Gramlich/Kaminski. Unter Platzeck wird Potsdam hoffentlich zu alter Bescheidenheit zurückkehren. Severin Weiland