Debatte zur Ausländerpolitik
: Gefahr: Gutmenschen

■ Ohne eine neue Migrationspolitik gibt es keine Gleichberechtigung

Vorweg: auch taz-LeserInnen sind rassistisch. Das ist kein Vorwurf – sondern ein Bekenntnis. Unter den rund 30 türkisch-deutschen DiskussionsteilnehmerInnen in der Angestelltenkammer löste die dazugehörige Beichte am Montag abend sogar Erheiterung aus. Diese legte eine alte deutsche Frau während der Debatte zum Thema „Migrations- und Ausländerpolitik“ ab, zu dem die AutorInnen der in der taz veröffentlichten Serie „Denken erlaubt“ eingeladen hatten. Die Geschichte der Frau begann mit ihrer Reise in eine fremde Stadt.

Ortsunkundig irrt unsere Erzählerin dort durch die Straßen, bis sie eine Frau trifft. Eine Ausländerin, wie sich schnell herausstellt, die zwar nicht helfen kann – aber auf ein Grüppchen dunkelhaariger Halbwüchsiger deutet, die sicher mehr wüßten. „Um Himmels Willen“, sieht sich unsere betagte Erzählerin schon quasi ausgeraubt am Boden liegen und wendet sich schaudernd ab – bis jemand sie am Ärmel zupft. Es ist die Ratgeberin von eben, die sagt: „Fragen Sie ruhig. Die sind doch von uns!“

Wer also sind „wir“ und wer seid „ihr“ – und wie? Darum kreisten die Fragen und Beiträge der ZuhörerInnen gute zwei Stunden lang. Vor allem „geistige Einbürgerung“ forderten sie – und ein vereinfachtes, nachvollziehbares Ausländer - sowie ein neues, überschaubares Einwanderungsrecht. Allgemeiner Konsens: „Hier hat die Politik schon seit 30 Jahren versagt – nicht erst die Christdemokraten“. Aber insbesondere diese. „Unerträglich“ sei es, wie Kanzler Kohl sich als Architekt Europas feiern lasse, während die Union zugleich ihr Süppchen auf der Ausländerfeindlichkeit koche. Deshalb, und weil das Recht zunehmend internationalisiert werde, „sollten wir neu darüber nachdenken, was wir wollen“, appellierte der Experte für Europäisches Recht, Klaus Sieveking, auf dem Podium.

Allerdings ist der Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Integration und rechtlicher Benachteiligung, nicht so einfach zuzuschütten. Beispiele davon lieferte das Publikum zuhauf. Die liberaldenkende deutsche Mutter eines 18jährigen beispielsweise, die dem Sohn das Wort „Kampftürken“ nicht ausreden kann, nachdem er und sein übrigens bunt gemischter Freundeskreis des öfteren von Gangs „abgezogen“ wurden. Trotzdem habe er die Übeltäter nicht angezeigt – da seien dem Jugendlichen die Abzieher fast noch lieber als die Polizei, berichtet die Mutter. Sie habe aber immer zur Anzeige geraten, auch wegen der Gleichberechtigung. „Wir müssen Ausländer endlich ernst nehmen“, forderte auf dem Podium auch Matthias Güldner, Integrationsreferent im Sozialressort. „Eine bestimmte Art von Gutmenschentum ist schädlich.“ Vor allem dann, wenn diese – aus Scham wegen der allgemeinen Benachteiligung von Ausländern – deren (statistisch) zunehmend räuberischen Nachwuchs in Schutz nehmen. „Damit werden ausländische Jugendliche ja nicht einmal für ihre Taten ernst genommen“, warnte er. „Aber wie?“ fragten die einen, „wenn danach die unverhältnismäßige Abschiebung droht." „Ausländer?“ fragten die andern. „Die Kinder sind hier groß geworden.“ ede