EU will Gen-Kennzeichnung aushöhlen

Industriekommissar Martin Bangemann ist entschlossen, seine Macht durchzusetzen: Kennzeichnung soll so uneindeutig wie möglich werden. Der Ministerrat kann sich nicht einigen, um dem etwas entgegenzusetzen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Der Streit um die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln wird zunehmend absurd. Obwohl eine klare Mehrheit der EU-Regierungen wie auch der Abgeordneten im Europaparlament eine eindeutige Kennzeichnung von Gen-Produkten verlangt, setzt der zuständige EU-Kommissar Martin Bangemann auf Vernebelung. Er will den Herstellern erlauben, auf Lebensmittelpackungen lediglich zu vermerken, daß möglicherweise gentechnisch veränderter Mais oder Soja enthalten sind.

Mais und Soja werden inzwischen mehr als 10.000 Nahrungsmitteln beigemischt, von Schoko- Riegeln bis Tütensuppen. EU- Kommissar Bangemann will der Industrie nun offensichtlich die aufwendige Analyse ersparen, ob unter den verwendeten Vorprodukten genetisch veränderte Bestandteile sind oder nicht. Für die Verbraucher wird es damit praktisch unmöglich, zwischen Natur- und Laborprodukten zu unterscheiden. Denn wenn der Hinweis auf eine mögliche Gen-Veränderung überall draufsteht, wird er sinnlos. Der Verbraucher hat dann „überhaupt keine Wahlmöglichkeit mehr,“ wie ein deutscher Diplomat beklagt.

Die eigenartigen Verfahrensregeln der EU geben der EU-Kommission die Macht, sich in diesem Fall gegen alle demokratischen Gremien durchzusetzen. Denn Europaparlament und Ministerrat haben in mehreren Richtlinien und Verordnungen nur die grundsätzliche Kennzeichnungspflicht geregelt.

Für die Details ist die EU-Kommission zuständig. Diesen Spielraum will Bangemann nun zugunsten der Gentech-Industrie voll ausschöpfen. Um ihn aufzuhalten, hätte der Ministerrat, in dem die 15 EU-Regierungen vertreten sind, bis zum 26. Mai einen einstimmigen Beschluß fassen müssen. Doch Italien, Schweden und Dänemark stellen sich quer, die anderen zwölf Regierungen sind somit machtlos. Ihre Appelle an Bangemann, Rücksicht auf demokratische Mehrheiten zu nehmen, blieben fruchtlos.

Die letzten Hoffnungen konzentrieren sich nun auf die anderen 19 EU-Kommissare. Alle wichtigen Entscheidungen werden von ihnen gemeinsam getroffen. Vor allem die Verbraucher- und Umweltkommissarinnen, Emma Bonino und Ritt Bjerregaard, fordern eine klare Kennzeichnungspflicht. Doch zum einen steht Bangemann mit seiner industriefreundlichen Haltung nicht allein, auch EU- Handelskommissar Sir Leon Brittan beispielsweise möchte die USA, den wichtigsten Soja-Lieferanten, nicht durch genfeindliche Regelungen vergraulen. Zum anderen neigen die EU-Kommissare dazu, den Vorschlägen des jeweils für das Thema zuständigen Kollegen zu folgen. Schließlich brauchen sie die Stimmen der anderen, wenn beim nächstenmal ihr Vorschlag zur Abstimmung steht.

Zwar geht es bei der aktuellen Auseinandersetzung nur um genmanipulierten Mais und Soja, weil diese Produkte schon vor der Novel-Food-Verordnung auf dem Markt waren und deshalb nicht darunter fallen. Aber wenn Bangemann die Machtprobe gewinnt, wird er die Novel-Food-Verordnung, die für alle übrigen Lebensmittel gilt, genauso verwässern. Seit einem Jahr in Kraft, fehlen der Novel-Food-Verordnung noch immer die Anwendungsregeln. Zuständig: Martin Bangemann.