RAF-Gefangener Pohl kommt frei

Bundespräsident Herzog begnadigt den schwerkranken Helmut Pohl nach zwei Jahrzehnten in Haft: Nach einer Operation muß er nicht in die JVA zurückkehren  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – Erstmals in seiner Amtszeit hat Bundespräsident Roman Herzog einen Gefangenen aus der Rote Armee Fraktion (RAF) begnadigt. Wie das Bundespräsidialamt gestern mitteilte, muß der 54jährige Helmut Pohl, dessen Haft im Januar für eine Operation der Halswirbelsäule unterbrochen worden war, nicht zurück in die Justizvollzugsanstalt im hessischen Schwalmstadt.

Mit Pohl kommt eines der letzten Mitglieder der RAF-Gründergeneration frei. Der frühere Germanistikstudent und freie Mitarbeiter beim Hessischen Rundfunk saß mit Unterbrechungen seit Anfang der siebziger Jahre rund zwei Jahrzehnte im Knast. Im Sommer 1984 verurteilte ihn das Düsseldorfer Oberlandesgericht wegen Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag auf das US-Hauptquartier in Ramstein am 31. August 1981 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Bei dem Attentat waren 20 Menschen zum Teil schwer verletzt worden.

Im Knast entwickelte sich Pohl zum strategischen Kopf der Gefangenengruppe und wurde während des letzten großen Hungerstreiks im Jahr 1989 zu ihrem Sprecher. Helmut Pohl war es auch, der die „Entspannungsphase“ nach Abbruch des Hungerstreiks im Oktober 1989 mit einer in der taz veröffentlichten bitteren Erklärung quasi offiziell beendete. Als die RAF wenige Wochen später den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, mit einer Autobombe ermordete, geriet der Gefangene noch einmal ins Visier der Politik. Manche wollten Pohls Brief als „vorgezogenen Bekennerbrief“ oder gar „Handlungsanweisung“ an die RAF mißverstehen – ein Vorgang, der auch im jetzt abgeschlossenen Begnadigungsverfahren eine Rolle spielte.

Schon Ende 1970 schloß sich Pohl der im Aufbau befindlichen Gruppe um Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof an. Doch noch bevor die RAF im Frühjahr 1972 die Republik mit einer ersten Bombenserie gegen Einrichtungen der US-Armee erschütterte, saß er bereits in Haft. Auch während der RAF-„Offensive 77“ mit den Morden an Generalbundesanwalt Siegfried Buback, dem Bankier Jürgen Ponto und der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und seiner Begleiter war Pohl im Gefängnis. 1992 begrüßte der RAF-Veteran die Erklärung der Untergrundgruppe, in der sie versicherte, künftig auf tödliche Anschläge gegen Repräsentanten aus Politik und Wirtschaft zu verzichten. Vor zwei Jahren verlangte Pohl von den „Illegalen ihre Auflösung als RAF“. Dem kam die Untergrundgruppe im vorigen Monat nach.

Sein Gnadengesuch stellte Pohl Anfang 1997. Dabei wurde er von Hans Magnus Enzensberger unterstützt. Der Literat hatte den Gefangenen zuvor regelmäßig besucht. Die Öffentlichkeit erfuhr von dem Gnadenverfahren Ende 1997 durch einen Spiegel-Bericht.

Bundespräsident Herzog hatte bereits Anfang 1995 angekündigt, er werde sich Begnadigungsersuchen von Inhaftierten aus der RAF nicht verschließen und jeden Einzelfall sorgfältig prüfen. Nach Pohls Entlassung sind noch acht Langzeitgefangene aus der RAF inhaftiert: Eva Haule, Rolf Heissler, Birgit Hogefeld, Sieglinde Hofmann, Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt, Adelheid Schulz und Rolf Clemens Wagner.