Das CDU-Lager formiert sich

Fraktionschef Wolfgang Schäuble setzt in seinem Zukunftsprogramm auf Argumente. Auf dem CDU-Parteitag war vor allem die Polarisierung der Lager gefragt  ■ Aus Bremen Dieter Rulff

Wie sich die Bilder doch gleichen. Genau wie auf dem letzten CDU-Parteitag in Leipzig, so hält auch diesmal Wolfgang Schäuble am zweiten Tag eine programmatische Rede. Und wie damals im Herbst liest sich diese Rede phasenweise wie eine Antwort auf die vorangegangenen Ausführungen Helmut Kohls. Der große Vorsitzende hatte vorgestern die Partei auf sich und den kommenden Lagerwahlkampf eingeschworen, die Leistungen der Bundesregierung und vor allem seine eigenen gewürdigt.

Schäuble sprach dagegen gestern von der Gestaltung des Wandels, dem Anpassungsdruck und den Anstrengungen, von der Spaltung zwischen Arbeitsplatzbesitzern und Nicht-Arbeitsplatzbesitzern, von der Entscheidung zwischen einer individualistischen und einer solidarischen Entwicklung. Seinen Entwurf eines Zukunftsprogramms nannte er den Versuch eines ehrlichen Bildes von der Zukunft, mit all den ungeheuren Veränderungen, mit den Chancen, aber auch den Ängsten. In Schäubles 24seitiger Rede nahm allerdings der Umweltschutz, der einzig wirklich strittige Punkt der letzten Wochen, gerademal sechs Zeilen ein. Diese Aufgabe, so stellt er lapidar fest, sei im nationalen Alleingang nicht zu lösen.

Während Schäuble im Herbst die Antworten gab, die von Kohl erwartet worden waren, während er dafür seinerzeit geradezu enthusiastisch gefeiert wurde, schwenkte er gestern auf die Parteilinie ein und zollte dem geplanten Lagerwahlkampf seinen rethorischen Tribut. Dafür erhielt er sechs Minuten frenetischen Applaus, Helmut Kohl hatte es tags zuvor auf die doppelte Zeit gebracht. Dieser Applaus, der als Barometer für die Stimmung unter den Delegierten gilt, wurde allerdings bei Kohl wie bei Schäuble so diszipliniert und ausdauernd vorgetragen, daß manche Beobachter Zweifel an der „Echtheit“ der Begeisterung äußerten.

Schäuble warf Rot-Grün vor, gegebenenfalls auch mit der PDS zu regieren, und forderte, niemals mit Extremisten gemeinsame Sache zu machen, egal ob von rechts oder von links. „Die Rechtsextremen sind so schlimm wie die Linksextremen“, sagte Schäuble und fuhr fort, ihm sei völlig unverständlich, „wie die Sozialdemokraten glauben konnten, man könne mit den Kommunisten zusammenarbeiten, ohne dadurch den Rechtsextremismus zu fördern“. Seinerzeit war Schäuble gefeiert worden, weil er der an Kohl zweifelnden Partei Orientierung gab. Kohl ernannte ihn daraufhin auf dem Leipziger Parteitag zu seinem Nachfolger. Nun muß der Fraktionschef damit leben, daß die CDU mit Kohl alleine an der Spitze in den Wahlkampf ziehen will, nun muß er hinnehmen, daß sie dem von ihm öfter eingeklagten argumentativen Wahlkampf zugunsten eines „holzschnittartigen Richtungswahlkampfs“ eine Absage erteilte. Er kann sich allenfalls das Verdienst anrechnen, daß nicht mehr von einem Lagerwahlkampf die Rede ist. Die Vokabel, so lautet die feinsinnige Argumentation, unterstelle eine Gleichgewichtigkeit der beiden Lager. Wie holzschnittartig der Wahlkampf sein wird, dafür boten die Reden auf dem Parteitag reichlich Anhörungsmaterial. Die SPD-PDS-Verbindung dominierte die Reden, die von ihr ausgehende Gefahr wurde in allen Schattierungen ausgemalt. Die Feststellung des SPD-Bundesgeschäftsführers Franz Müntefering, daß ein Bündnis mit der PDS in Mecklenburg-Vorpommern oder in Thüringen prinzipiell nichts anderes sei als das in Sachsen-Anhalt, wurde als sicherer Beleg dafür genommen, daß die SPD auf eine Zusammenarbeit in Bund und Ländern setze.

Vertreter der SPD zeigten sich angesichts der PDS-Kampagne der CDU gelassen. Die Sozialdemokraten erwarten dadurch kaum nennenswerte Veränderungen in den Umfrageergebnissen, zumal, anders als 1994, diese Frage innerhalb der SPD kaum noch Gegenstand grundsätzlichen Streits ist. Für Müntefering ist nach Schäubles Rede klar, „daß die Union programmatisch verbraucht ist“.