Ärztlicher „Dienst nach Vorschrift“

■ Kassenärzte beschließen Proteste wegen geringer Honorierung

6.100 waren nicht gekommen, aber immerhin rund 1.000 aller niedergelassenen Ärzte versammelten sich am Mittwochabend im Audimax der Technischen Universität auf einer Vollversammlung, um gegen die „schlechte Bezahlung der medizinischen Leistungen“ zu protestieren. Einen richtigen Streik wird es zwar nicht geben, aber die Anwesenden stimmten fast einstimmig dafür, ab Juni „bis auf weiteres“ ihren Dienst nur noch nach „Vorschrift“ zu absolvieren, um auf ihre Honorarsituation aufmerksam zu machen.

Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sind rund ein Drittel der Praxen derzeit in finanziellen Schwierigkeiten. Die KV fordert, daß das Gesamtbudget von zwei Milliarden Mark jährlich um 15 Prozent gesteigert werde müsse, damit wenigstens die bisher erbrachten Leistungen angemessen vergütet werden. Insbesondere Hausbesuche und Gespräche würden zu schlecht bezahlt. Aufgrund der Praxis-Budgetierung kann ein intensives Gespräch nur noch bei jedem 15. Patienten abgerechnet werden.

Die Vollversammlung habe deshalb beschlossen, die Sprechzeiten der Praxen nach Pfingsten „bis auf Wideruf“ aufs Nötigste einzuschränken, so Anton Rouwen vom Aktionsrat der Kassenärzte. Sonderöffnungszeiten wie nach 20 Uhr oder sonnabends fielen weg. Hausbesuche würden nur gemacht, „wenn sie unbedingt erforderlich“ seien. Die Beratung bei Rezeptverschreibungen soll auf „ganz kurze“ Hinweise beschränkt, außerdem weniger ambulant operiert und häufiger ins Krankenhaus eingewiesen werden.

„Nur mit diesen demonstrativen Aktionen können wir deutlich machen“, hofft Rouwen, „wie perfekt das System momentan dank unserer ständigen Mehrarbeit funktioniert.“ Der „Streik“ bedeute natürlich, daß die Ärzte „vorübergehend schlechter als sonst funktionierten“, aber aufgrund der angespannten Situation müsse jetzt zu umfassenden Maßnahmen gegriffen werden. Bisher hatten die Fachgruppen, wie zum Beispiel die Hausärzte, nur vereinzelt protestiert. Die medizinisch notwendige Versorgung in der Stadt soll jedoch nach wie vor sichergestellt sein.

Zusätzlich zum „Dienst nach Vorschrift“ ist geplant, im Juni alle Fortbildungen der Berufsgruppen nicht wie sonst üblich am Wochenende zu veranstalten, sondern während der Praxisöffnungszeiten. Ende Juni soll außerdem eine „Ärztegesundheitswoche“ organisiert werden, wo sich die unterschiedlichen Fachärzte ausschließlich um die „Gesundheit der KollegInnen“ kümmern werden. „Das alles hat eine gewissen Ähnlichkeit mit Streik“, sagt der Vorsitzende des Aktionsrates. „Wir werden so lange protestieren, bis sich etwas ändert und wir wieder höhere Honorare bekommen.“ Der Aktionsrat geht davon aus, daß die Hälfte aller niedergelassenen Ärzte sich an den Aktionen beteiligen werden – also 3.000. Ende Juni sollen weitere Aktionen diskutiert werden. Julia Naumann