33 Tage in Kabilas Knast

Bericht aus der Gefangenschaft: Wie ein taz-Korrespondent in der Demokratischen Republik Kongo wegen „Spionage“ in Haft geriet und fast fünf Wochen lang bei der kongolesischen Staatssicherheit schmorte  ■ Von Peter Böhm

Den Polizisten in Goma muß wirklich der Schreck in die Glieder gefahren sein, als sie mein Hotelzimmer durchsuchten. In ihrem Bericht heißt es später: Da sie einen tragbaren Computer, ein Diktiergerät sowie eine Reihe von Papieren und Zeitungen vorgefunden hätten, „präsentierte sich das Hotelzimmer wie ein Armeehauptquartier“.

Die Durchsuchung hat Faustin Munene angeordnet, Vize-Innenminister der Demokratischen Republik Kongo, der gerade zu einem Besuch in Goma weilt. Zu ihm war ich von vier Polizisten gebracht worden, die mich in einem Wohnviertel festgenommen hatten. Die netten Beamten ignorierten meinen Vorschlag, ihren Wagen kurz an meinem Hotel zu stoppen, um meine Papiere zu holen, und brachten mich gleich zu ihrem Chef, der frisch geduscht im Kreise seine Getreuen saß und sichtlich den Sonntagabend genoß. Zwei Stunden lang mußte ich schmoren, bevor mich ein Beamter nach meinem Beruf fragte und auf meine Antwort „Journalist“ ein überdeutliches „Aha!“ in seinem Gesicht aufleuchtete.

Nun sitze ich vor Munene im vergammelnden protzigen Kitsch von Mobutus ehemaliger Villa am Kivu-See, während der General genüßlich meine Aufzeichnungen und Papiere durchgeht und mit seinen hämischen Kommentaren auf die Lacher der sich um ihn scharenden Polizisten spekuliert. Beschlagnahmt wurden unter anderem zwei Berichte der in Goma ansässigen Menschenrechtsorganisation „Grande Vision“, die ich am Tag meiner Verhaftung bekommen hatte. Der erste enthält eine in dieser Detailliertheit bisher wohl unbekannte Auflistung von Massakern, die Kongos Armee in der Provinz Nord-Kivu begangen haben soll. Die zweite ist eine Liste mit Namen von verschwundenen Hutu-Geschäftsleuten aus Goma.

Am Ende spricht General Munene das Urteil: „Sie kommen mit nach Kinshasa!“ In seinem Flugzeug werde ich am nächsten Tag in die 2.000 Kilometer entfernte kongolesische Hauptstadt geflogen.

Bis zu vierzehn Häftlinge teilen sich zwei Stühle

Das Gebäude des Nationalen Sicherheitsrats (CNS) in Kinshasa, wo ich fast die ganzen nächsten fünf Wochen verbringen werde, liegt einen Steinwurf von Präsident Laurent-Désiré Kabilas Privatresidenz entfernt. Der CNS, exakt dem gleichnamigen Vorgänger aus der Mobutu-Zeit nachgebildet, soll eigentlich die Arbeit der zahlreichen, sich zum Teil gegenseitig bekämpfenden Sicherheitsdienste der Demokratischen Republik Kongo koordinieren und ihre Informationen sammeln, um dem Präsidenten einen täglichen Bericht über die Sicherheitslage vorzulegen. Sein Gebäude ist voller Analysten und Soldaten, die zum Teil in Libyen ausgebildet worden sind. Auch der Sohn von André Kisase Ngandu, der einst mit Kabila die AFDL-Rebellenbewegung gründete und dann während des Bürgerkrieges vermutlich von der eigenen Seite umgebracht wurde, ist Soldat beim CNS.

Ich bin in einem ehemaligen Warteraum untergebracht, von dessen Decke Wasser tropft und einen Sumpf auf dem Teppichboden hinterläßt. Zwischen zwei und vierzehn Häftlinge teilen sich zwei Stühle und eine feuchte Matratze und versuchen, die lange ereignislose Zeit damit zu vertreiben, indem sie sich ihre Schicksale erzählen. Besonders begehrt sind die neuesten Gerüchte über den Stand der Verfahren.

Zu essen gibt es nichts. Allerdings können diejenigen, die Geld haben, einem Soldaten Scheine in die Hand drücken, damit er draußen mal Brötchen, mal einen Bratfisch und Limonade kauft – und einen Teil des Geldes natürlich einbehält. Oder Freunde und Verwandte kommen und bringen etwas mit, wobei sie am Eingang auch erst mal die Soldaten bestechen müssen.

Wenn der diensthabende Offizier gerade keine schlechte Laune hat, dürfen wir abends sogar in den Sofas des großen Empfangssaals lümmeln und dort auch übernachten. Bevor am Morgen dort wieder zum Verhör vorgeladene Bürger mit ausdruckslosen Gesichtern warten werden, verschwinden wir wieder in unserem cachot – dem „Verlies“.

Nach einer guten Woche bekomme ich zum ersten Mal den Chef des CNS zu sehen: Didier Kazadi Nyembwe, genau wie der Innenminister (Kabilas Cousin) und der Polizeichef (Kabilas Schwager) ein enger Vertrauter Kabilas und ehemaliger Generalsekretär von Kabilas „Partei der Volksrevolution“ (PRP). Wehrlos, müde, stinkend und dreckig – es gibt im CNS selten Wasser, um sich zu waschen – sitzt Kazadis weißer Gefangener vor ihm und läßt sich über das deutsch-kongolesische Verhältnis aufklären. „Es gibt kongolesische Professoren in Ihrem Land, die Deutsche unterrichten“, erklärt der CNS-Chef. „Deshalb sind die Kongolesen intelligenter als die Deutschen.“ Es gebe außerdem keinen Zweifel daran, daß „einige Länder den Kongo destabilisieren und unsere Revolution zerstören wollen“.

Nach zwölf Tagen werde ich zum ersten Mal verhört, von einem CNS-Soldaten. Er hat keinerlei Verhörgeschick, wird im Laufe des Verhörs müde und stellt kaum präzise Fragen. Seine Fragen sind aber die einzigen Anhaltspunkte, aus denen ich auf die später gegen mich vorgebrachten Vorwürfe „Spionage“ und „Gefährdung der Staatssicherheit“ schließen kann. Eine zentrale Rolle spielt die UN- Untersuchungskommission zur Aufklärung von Massakern während des Bürgerkriegs, die während meines Aufenthaltes in Goma ebenfalls dort war. In meinen Unterlagen befindet sich nämlich ein Zettel, den die UN-Gruppe damals an Interessierte verteilt hatte und dem sie sich und ihre Arbeit vorstellt.

Für den Soldaten steht daher fest, daß ich zu der UN-Kommission gehöre. „Alle Journalisten arbeiten für sie“, enthüllt er mit verschwörerischer Mine. „Wir wissen das!“ Und hätte ich denn nicht gewußt, daß es „strengstens verboten“ sei, mit der UN-Untersuchungsgruppe ohne Erlaubnis der Regierung zu sprechen?

Außerdem wird mir in dem Verhör eröffnet, ich besitze „eine militärische Karte, die unsere gesamten strategischen Stellungen im Osten des Landes zeigt“. Man kann der Regierung nur wünschen, daß das nicht stimmt: Auf dem von einer Landkarte des Nord-Kivu kopierten Blatt sind ein Punkt und drei Pfeile eingezeichnet. Der Präsident des lokalen Viehzüchterverbandes, Kasuku, hatte mir das Blatt gegeben. Der Punkt bezeichnet seine Farm in der Nähe von Masisi westlich von Goma, die im Dezember 1996 von Hutu-Milizen besetzt wurde; die drei Pfeile den Weg, den sie nach seiner Aussage vor wenigen Monaten nach Ruanda genommen haben.

Ein zusätzlicher Grund, warum ich die Gesetze des Landes verletzt hätte, wird mit am Tag vor meiner Abschiebung von Charles Mpunga eröffnet, der Vize-Kabinettsdirektor des CNS: Einreise durch einen von Rebellen kontrollierten Grenzübergang. „Es gibt drei Grenzübergänge in der Region“, erklärt Mpunga. „Wir kontrollieren den nördlichen und den südlichen. Aber Sie kamen durch den mittleren. Unsere Feinde haben Sie hier reingelassen!“

Es waren in Wirklichkeit kongolesische Grenzbeamte. Der mittlere Grenzübergang Bunagana stellt die Verbindung zwischen Goma und dem Nachbarland Uganda her. Über Bunagana reiste ich am 6. April ganz regulär in den Kongo ein, mit dem Bus, der zweimal die Woche zwischen Kampala und Goma verkehrt. Auf dieser Straße werden Waren aus Kenia und Uganda in den Osten des Kongo importiert, die EU hat beschlossen und teilweise Vorbereitungen getroffen, sie auszubauen. Am Grenzübergang herrscht reger Verkehr, die Grenzbeamten sind freundlich und gut organisiert.

Auf den 50 Kilometern von Bunagana nach Goma finden sich nur zwei Straßensperren – für ein Krisengebiet äußerst ungewöhnlich. Da diese Straße zugleich an den ehemaligen ruandischen Flüchtlingslagern nördlich von Goma vorbeiführt, war sie für die UN- Kommission gesperrt. Die anderen beiden Grenzübergänge sind viel weniger zugänglich. Der südliche Grenzübergang Gisenyi ist der aus dem unsicheren Nordwesten Ruandas, der nördliche Übergang Inshasha liegt einige hundert Kilometer nördlich von Goma in einer weiträumigen Waldregion fern von jeder größeren Siedlung.

„Sie sind doch nur freier Mitarbeiter der taz!“

Nach zwei Wochen Haft gelingt es mir endlich, Kontakt zur deutschen Botschaft aufzunehmen. Mehrere Male hatte ich darum gebeten, daß die deutsche Botschaft von meiner Festnahme informiert werde, was mir jedesmal willig zugesagt wurde, aber nie passierte. Durch den Besucher eines Mithäftlings schmuggle ich schließlich einen Zettel nach draußen.

Am nächsten Morgen besuchen mich zwei Botschaftsangehörige und dürfen sich mit mir in Anwesenheit eines Ermittlers auf französisch unterhalten. Der konsularische Attaché Peter Winkler steckt mir danach eine Visitenkarte zu, die mir im cachot von einem Soldaten mit dem Hinweis abgenommen wird, ich bekäme sie „morgen“ zurück, wenn ich abgeschoben würde. Der Soldat, der aus dem Dienstzimmer eines mittleren Beamten kommt, gratuliert mir. Schon zuvor hatte ich glaubhafte Hinweise erhalten, daß meine Ausweisung bevorstünde. Ein Mitarbeiter der UN-Untersuchungsgruppe und ein Mitarbeiter von Unicef, beide kürzlich in Goma verhaftet, waren nach wenigen Tagen wieder freigekommen, nachdem ihre Arbeitgeber öffentlich protestiert hatten. Zur Ausweisung kommt es jedoch zunächst nicht. Von nun an muß ich aber nicht mehr hungern, denn jeden Tag bekomme ich von der Botschaft etwas zu essen und auch Zeitungen und Zeitschriften. Gleich beim ersten Treffen mit dem Attaché hatte ich außerdem darum gebeten, die taz von meinem Verbleib zu informieren. Ohne Erfolg: Wie ich später erfahre, hat die taz erst einige Tage später auf eigene Nachfrage bei der deutschen Botschaft in Nairobi von meiner Festnahme erfahren.

Tagelang zeichnet sich keine positive Entwicklung ab. Als ich auf eine härtere Linie dränge, antwortet Peter Winkler: „Sie sind doch nur freier Mitarbeiter der taz!“ In ihren Gesprächen mit den CNS-Beamten, bei denen ich zugegen bin, erweisen sich die Botschaftsangestellten als geduldige Zuhörer, die selbst die krudeste Verschwörungstheorie nicht aus der Reserve locken kann. Einmal läßt sich Winkler in meiner Gegenwart und der des Ermittlungschefs zu der Feststellung hinreißen, ich arbeite ja nicht für eine Zeitung, die der deutschen Regierung besonders nahestehe.

Der CNS, der wohl nicht mit einer so kooperativen Haltung der deutschen Botschaft gerechnet hatte, wird nun immer mutiger. Man nehme meinen Fall sehr ernst, gibt Winkler eine Aussage von CNS-Chef Kazadi gegenüber dem Botschafter wieder. Ein Prozeß vor einem Militär- oder Sondergericht rückt plötzlich in den Bereich des Möglichen.

Am 15. Mai werde ich schließlich ausgewiesen. Bevor ich ins Flugzeug steige, unterschreibe ich eine „Einladung, das Land zu verlassen“. Darin bestätige ich, „freiwillig“ zu gehen, weil nach der „minutiösen Untersuchung“ meines Falles die Behörden sich „erlauben“, mich der „schweren Gefährdung der Staatssicherheit und der Spionage“ zu beschuldigen.