Kommentar
: Merkel - ein anderes Wort für Sicherheit

■ Wer kontrolliert die Atomindustrie?

„Genaugenommen ist Castor nur ein anderes Wort für Sicherheit“, textete die Atomlobby kürzlich großspurig in Anzeigen – auch in der taz. Wir sind gespannt, ob diese Anzeige noch einmal geschaltet wird. Haben sich doch seitdem einige Dinge ereignet, die die Sicherheitsstandards von Atomindustrie und europäischen Aufsichtsbehörden wieder einmal als Augenwischerei decouvrieren.

Da bringen Falltests ans Licht, daß manche Atombehälter doch nicht stoßsicher konstruiert sind. Da wird nach Transporten in die französische Wiederaufarbeitungsanlage eine 3.000mal höhere Strahlenbelastung gemessen als erlaubt. Als nächstes stellt sich heraus, die Ergebnisse solcher „Wischtests“ beim Entladen sind den Atomfirmen schon seit zehn Jahren bekannt. Und schließlich hören wir mit Erstaunen, daß unsere Bundesumweltministerin Angela Merkel davon die ganze Zeit nichts wußte und auch nichts wissen mußte – jedenfalls nach der geltenden Gesetzeslage.

Ihr Sprecher behauptet, die Betreiberfirmen hätten solche alarmierenden Meßergebnisse trotzdem weitergeben müssen. Aber wer nichts wissen will, erfährt auch nichts. Die Meßprotokolle aus Sellafield und La Hague hat Merkel nie angefordert. Vor sechs Jahren zog die EU Konsequenzen aus dem Transnuklear-Schmiergeldskandal von 1988 und erließ eine Richtlinie, um grenzüberschreitende Atomtransporte besser zu kontrollieren. Die Bundesregierung verschleppte die Umsetzung in nationales Recht so lange, bis die EU- Kommission sie im letzten Herbst vor dem Europäischen Gerichtshof verklagte. Die freche Begründung von Merkels Sprecher damals: Man könne nicht wegen der EU- Richtlinien „alle paar Jahre das Atomgesetz ändern“.

Dafür wird aber jetzt ordentlich gehandelt. Jetzt sind die Meßprotokolle da. Bravo! Jetzt läßt man sich von den Atomfirmen eine „konsequente Ursachenforschung“ versprechen. Prima! Nur haben die Firmen ja schon zehn Jahre lang das Problem nicht beheben können. Und nur wenn freiwillige Kooperation auch weiterhin nicht hilft – wir wissen's beim nächsten Skandal –, dann sollen, so läßt Frau Merkel uns wissen, „künftig Informationspflichten“ in den Genehmigungsbescheiden festgelegt werden. Genaugenommen, so schließen wir daraus, ist Merkel nur ein anderes Wort für Sicherheit. Michael Rediske