Wand und Boden
: Clownskostüme unter dem Rasenmäher

■ Kunst in Berlin jetzt: „Purple“-Fashion-Videos, Bridget Smith, Joseph Beuys

Nirgends sind die Fronten derzeit so durchlässig wie zwischen Kunst und Mode. Bildhauer hämmern Laufstege zusammen, und Designer nähen fürs Museum. Der Mann der Stunde heißt Martin Margiela, zumindest war er es mit seinen angeschimmelten Echtpilzkleidern letztes Jahr, denn die Mode lebt ja noch schneller als das Leben.

Auch in der Video-Abteilung des Pariser Kunstmagazins Purple im BüroFriedrich ist Margiela mit zwei Beiträgen vertreten. Der belgische Modemacher zeigt seine Winterkollektion 98/99 als dreigeteilte Cinemascope-Landschaft, so daß die Mannequins jeweils auf polaroidgroßen Flächen erscheinen. Manche von ihnen rennen im Raum herum, andere kichern; manchmal spricht eine der Frauen auch in die Kamera, doch davon versteht man nur wenig, weil der Bildschirm in einer Reihe mit sieben anderen Geräten steht, auf denen zur gleichen Zeit Shows von Comme des Garçons, Chalayan oder Tomato wild durcheinander laufen. Das Chaos bleibt trotzdem angenehm, weil es die glamourösen und individualistischen Aspekte der Mode visuell vereinheitlicht.

Die fünfzehn Videotapes, die Olivier Zahm und Katja Rahlwes ausgewählt haben, orientieren sich an der Frage, wie „zeitgenössischer Lifestyle neu verhandelt wird“. Tatsächlich werden Prêt-à- porter-Schauen wie Gesamtkunstwerke inszeniert. Diesen Eindruck gewinnt man zumindest, wenn man auf einem Videobeam der Präsentation von Kamelhaarmänteln aus dem Hause Viktor & Rolf folgt. Vor der Galerie steht eine Stellwand mit einem Foto der beiden Designer. In ihren zerrupften Anzügen sehen sie aus, als wären zwei Clowns unter einen Rasenmäher gekommen.

Bis Ende Juni, Mi.–Fr. 14–20, Sa. 14–18 Uhr, Friedrichstraße 104

Auf einem Foto von Bridget Smith verschwindet „Neuschwanstein“ in der Nacht. Nur die fahlen weißen Türmchen sind im Licht der Scheinwerfer noch gut zu erkennen, das restliche Schloß scheint sich dagegen mystisch im schwarzen Himmel aufzulösen. Mit ihrem gruftigen Pathos erinnert die Aufnahme an Fin-de- siècle-Gemälde. Damals galt, frei nach Nietzsche, die Vorstellung, daß das Leben allein ästhetisch gerechtfertigt sei. Als Kitschvision hat sich dieser Glaube in den USA gehalten: Jedes Las-Vegas- Hotel funktioniert wie ein kulturgeschichtlicher Themenpark, in dem künstliche Welten vom Alltag nicht zu trennen sind. Hier beginnt die Arbeit der britischen Fotografin: Woran erkennt man die Illusion in der Welt da draußen?

Für die Ausstellung in der Galerie Barbara Thumm hat Smith sechs großformatige Prints gehängt, auf denen ein Schwebezustand zwischen schöpferischer Phantasie und der verdoppelten Wirklichkeit im Dienstleistungsbereich dargestellt ist. Das Hotelzimmer im „Excalibur“ ist wie ein Nachbau von Neuschwanstein gestaltet, wobei Ludwigs Traumschloß selbst schon von einem Bühnenbildner gebaut worden war. Die Täuschung ist entsprechend perfekt, das Interieur könnte genausogut aus einem Puppenhaus stammen. Der Special Effect wird dadurch noch verstärkt, daß Smith ohne Blitz fotografiert und die Bilder entsprechend weichgezeichnet sind. Zuletzt werden selbst die Übergänge zwischen dem Raum und der Tapete unkenntlich: Dann sehen die süßlichen Bergsee-Gemälde in der „Madonna Suite“ tatsächlich wie Fenster zur Welt aus.

Bis 12.6., Di.–Fr. 14–19, Sa. 13–17 Uhr, Auguststraße 22

Die Ambivalenz im Umgang mit Joseph Beuys spiegelt sich auch in der disparaten Präsentation seiner Arbeiten wieder. Während man im Hamburger Bahnhof vor überdimensionalen Werkgruppen in Ehrfurcht erstarren soll, finden seine kleineren Objekte ihren Weg eher in obskure Randausstellungen an abgelegenen Orten. Vor ein paar Jahren etwa gab es Beuyssche Xerox- Kunst in der Diözesanakademie irgendwo im Westend. Und jetzt werden die Postkarten-Editionen von Beuys im Museum für Post und Kommunikation, An der Urania 15 gezeigt. Im zweiten Stock des Hauses. Zwischen rosa- grau gestrichenen Vitrinen rund ums Telefon- und Satellitenwesen. Genau dort gehören sie auch hin – nichts war für Joseph Beuys so wichtig wie Kommunikation mit allem und jedem.

Dabei fällt es ziemlich schwer, den roten Faden der Miniatur- Retrospektive zu behalten. Schließlich hat Beuys Postkarten zugleich als historisches Dokument, Infomaterial, Flyer und Auflagenobjekt benutzt. In der Folge sind an die vierhundert durchnumerierte Karten zu kleinen Einheiten gebündelt. Die Ausstellung geht themenorientiert vor: Beuys als Performance- Künstler begegnet man in einer Reihe mit Ankündigungs- oder Einladungskarten, die den Meister in einschlägigen Posen zeigen, darunter die bekannte Aufnahme des in Italien energisch losmarschierenden Beuys mit der Aufschrift „Die Revolution sind wir“. Aber auch die Postkarte, auf der Beuys 1972 von Polizisten aus der Düsseldorfer Akademie herausbefördert wird, ist ein feines Zeitzeugnis in Sachen Revolte, zu dem die Bildzeile paßt: „Demokratie ist lustig“. Für die New Yorker Aktion, bei der er sich mit einem Kojoten einsperren ließ, ist das ganze Procedere vom Flug nach Amerika bis zum eigentlichen Event sorgsam dokumentiert. Und zur documenta-VII-Initiative mit den 7.000 Eichen wurden selbst die PR-Maßnahmen mit ins ×uvre aufgenommen – der Berliner Ginkgo-Schützer Ben Wargin versucht noch heute seine Baumpatenschaften in diesem Stil zu inszenieren.

Am Ende fügen sich die Postkarten wie ein Bilderbuch über Biographie und Arbeit des 1986 verstorbenen Künstlers zusammen, von den frühen Hirschzeichnungen und Tierfrauenphantasien bis zur Honigpumpe oder dekorativ gestalteten Werbekarten für die Grünen. Daß Beuys oft auch tagesaktuell produziert hat, zeigt ein Bild von Elvis im Sarg mit dem Titel „The last picture“. Wie sehr er sich selbst als Popstar sah, kann man einem Videofilm entnehmen: Zur Eröffnung einer Andy-Warhol-Ausstellung ließ Beuys die versammelte Mannschaft aus Schickeria und Politprominenz eineinhalb Stunden warten. Als ihm später der Fernsehreporter die Frage stellte, ob er nicht auch Kanzler werden wolle, antwortete Beuys in seiner rheinischen Gewitzheit: „Wenn es dem Ziel der gesellschaftlichen Veränderung nützt, warum nicht?“

Bis 20.9., Di.–So. 9–17 Uhr Harald Fricke