Kafkaeske Szenen um eine Kroatin

■ Sie lebt seit 1951 in Deutschland, ihr Sohn dient beim Bund. Doch erst wenn sie beweisen kann, daß sie Kroatin ist, darf Vesna Talmon-Gros Deutsche werden. Geschichte eines Dienstweges

Schramberg (taz) – Ein schmal geschnittenes Einfamilienhaus in Schramberg bei Rottweil. Vor der Tür reihen sich Fichten, dahinter plätschert die Schiltach. Hier lebt Familie Talmon-Gros – Mutter Vesna, ihre drei erwachsenen Kinder und ihr Mann Gottlieb. Im Schwarzwaldidyll steht ein glänzend gewienerter Wohnwagen geparkt.

„Früher sind wir damit im Sommer nach Spanien gefahren“, erklärt die 46jährige und gibt dem Gefährt einen Klaps. „Seit drei Jahren tut es ein Baggersee in der Nähe von Offenburg.“ Das liegt nicht an der plötzlichen Reiseunlust der Familie, sondern am fehlenden Reisepaß der Mutter.

Seit 27 Jahren lebt sie in Deutschland, die Tochter arbeitet als Arzthelferin, ein Sohn ist Elektrotechniker, und ihr Nesthäkchen, Michael, 22, hat sich als Zeitsoldat bei der Bundeswehr verpflichtet. Doch während ihr Jüngster Schießübungen fürs Vaterland exerziert, wird Vesna Talmon- Gros die deutsche Staatsbürgerschaft verwehrt.

An den Wohnwagen gelehnt zündet sie eine Zigarette an, fährt sich durch die dunklen Haare und erzählt ihre Geschichte:

1951 wird sie in der Nähe des heute kroatischen Zagreb geboren. Mit 20 kommt sie nach Schramberg, um an einer Imbißbude Würstchen zu verkaufen. Sie lernt Kurt-Gottlieb Talmon-Gros kennen, heiratet ihn und bleibt. 1993, nach der Teilung Jugoslawiens, verpaßt sie bei den deutschen Behörden eine Frist, um ihren jugoslawischen Reisepaß gegen einen kroatischen einzutauschen. Anschließend wagt sie es nicht, in ihr Heimatdorf in der Nähe von Zagreb zu fahren, um sich dort um ihre „Domovnica“, ihre Staatsbürgerschaftsurkunde, zu kümmern, weil dort noch gekämpft wird. Zwei Jahre später darf sie es nicht mehr: Ihr jugoslawischer Reisepaß läuft ab, Vesna Talmon-Gros wird Staatenlose. Seitdem versucht sie das, was naheliegt, wenn man 27 Jahre lang in Deutschland lebt, mit einem Deutschen verheiratet ist und drei deutsche Kinder hat: Sie will Deutsche werden. Vergeblich. Denn die Behörden machen es ihr nicht leicht: Das Ausländergesetz verlangt, daß sie zuerst ihre kroatische Staatsangehörigkeit aufgibt. Dafür muß sie aber beweisen, daß sie überhaupt Kroatin ist.

„Das ist ziemlich schwierig, weil ich schon solange nicht mehr dort lebe. Als ich geheiratet habe, wurde diese Änderung in Kroatien nicht im Einwohnerregister vermerkt. Deshalb taucht mein jetziger Name dort nirgends mehr auf. Ich muß also erst wieder Kroatin werden, um die kroatische Staatsbürgerschaft loszuwerden. Und erst dann kann ich Deutsche werden“, erklärt sie und zupft an einer Fichte.

„Irgend was Schriftliches gibt es nicht mehr. Und weil von meinen Verwandten niemand mehr lebt, kann ich auch keine Zeugen auftreiben. Es ist wie verhext.“ Im Wohnzimmer ist der Kaffee fertig. Vesna Talmon-Gros drückt ihre Zigarette aus und geht nach drinnen. Dort setzt sie sich zu ihrer Familie an den Eichentisch, über ihr eine Kuckucksuhr, vor ihr ein Wust aus Dokumenten, Papieren und Bescheinigungen.

„In Deutschland lassen wir uns jetzt alles schriftlich geben.“ Von jedem Behördengang hat sie ein Formular, eine Bestätigung oder einen Stempel mitgebracht. Jeder Brief wird feinsäuberlich in ein Kästchen sortiert. Aber langsam quillt es über.

Vesna Talmon-Gros war beim Bürgermeisteramt Schramberg, auf dem Landratsamt Rottweil und dem kroatischen Konsulat in Stuttgart. „Der Weg nach Freiburg zum Regierungspräsidium kommt mir im Traum, so oft war ich da.“ Aber weder die Behördengänge noch die vielen Telefonate oder die Briefe ihres Anwalts haben etwas bewirkt, erzählt sie und sticht mit der Gabel in ihre Schwarzwälder Kirschtorte: Ohne Entlassung aus der kroatischen keine deutsche Staatsbürgerschaft, ohne Staatsbürgerschaft kein Reisepaß, ohne Reisepaß keine Reise nach Kroatien – und damit keine Chance, ihre Staatsangehörigkeit zu klären. „Schau, Vesna, das klärt sich schon noch“, beschwichtigt sie ihr Mann. Ihm schwant nichts Gutes, wenn seiner Frau der Zorn ins Gesicht steigt und sie mit dem Besteck gestikuliert. „Die Ämter sind sich, glaube ich, selbst nicht ganz sicher, wie die Vesna da rauskommt.“ Verwaltungen und Konsulat legen sich quer. Jeder erklärt sich zur Mithilfe bereit, wartet aber auf eine Entscheidung von der anderen Seite.

„Wir hatten ähnliche Fälle ganz oft bei Kroaten, die schon länger hier leben“, bestätigt Regina Deparis vom Rechtsreferat des Regierungspräsidiums Freiburg. „Das Generalkonsulat in Stuttgart fordert die kroatische Domovnica, wenn sich jemand ausbürgern lassen will. 1993 haben da einige eine Frist verpaßt, um ihre jugoslawische Staatsbürgerschaft einzutauschen. Wenn Frau Talmon-Gros das damals nicht erledigt hat, muß sie jetzt eben rüberfahren und sich kümmern.“ Das kann sie aber nicht, weil sie ohne Reisepaß nicht nach Kroatien reisen darf. Manchmal stelle das Generalkonsulat da eine Sondergenehmigung aus. Warum das bei Vesna Talmon- Gros nicht geht, weiß Deparis auch nicht. „Andere Länder, andere Sitten. Aber man kann den Leuten nur raten, ihre Unterlagen vollständig zu haben.“ Weil sich nichts rührt, flatterte Vesna Talmon-Gros Mitte letzten Jahres eine Anklage der Staatsanwaltschaft Rottweil ins Haus: Sie halte sich seit zwei Jahren illegal in Deutschland auf und verstoße damit gegen das Ausländergesetz. „Ein reiner Verwaltungsstreit“, schimpfte selbst der Richter und schloß das Verfahren mit einer Geldbuße von 300 Mark.

„Dabei habe ich noch Glück im Unglück“, grinst Vesna mühsam und stößt den letzten Rauch ihrer Zigarette aus. „Abgeschoben werde ich wohl kaum. Die wüßten ja nicht mal, wohin.“ Anja Burkel