■ Nachschlag
: Auch Stille ist sehr, sehr angenehm: Lydia Lunch sang im Knaack

Überrascht waren manche Lydia-Lunch-Fans, als sie in Andrea Junos Buch „Angry Women“ einige streng formulierte feministische Aussagen ihrer Heldin lesen durften. Da sprach Lydia Lunch von einer „Revolution der Frauen“, von Frauen, die mit „der Uzi in der Hand das Weiße Haus stürmen“ sollten, von einem „totalen Krieg der Geschlechter“. Trotz Spoken-Word-Alben wie „Conspiracy Of Women“ ist sie nie in die Nähe feministischer Diskurse gerückt worden. Das lag wohl daran, daß es ihr mehr um die eigene Kunst ging als um die Möglichkeiten frauenorientierter Zusammenarbeit, aber auch daran, daß ihre Arbeiten – Filme, Platten, Bücher – allzuoft zu bitchig, gewalttätig, unkorrekt oder avantgardistisch waren. Frei nach dem Motto: Riot ja, Grrrls nein.

Nachdem man sie in unseren Breiten zuletzt aus dem „Tagebuch eines Raubtiers“ hatte vorlesen hören, zeigte sie sich am Freitag abend im gut gefüllten Knaack mal wieder von einer ganz anderen Seite: als Diva im langen Schwarzen, als Barjazzsängerin in the mood. Als Dame, der es mehr um Stimmung als um Aufruhr geht und die so gar nichts von ihren hübschen und beeindruckenden Tattoos auf dem Rücken zeigen wollte. Auch ihre beiden musikalischen Begleiter paßten da mit Krawatte und gutsitzenden grauen Anzügen ins blau ausgeleuchtete Bühnenbild. Der ehemalige Gallon-Drunk- und jetzt Tindersticks-Saxophonist Terry Edwards zeigte, wie virtuos er mit seinem Instrument umgehen kann. Und der amerikanische Musiker und Filmkomponist Joseph Budenhagen, mit dem Lunch zusammen ihr neustes Album „Matrikamatra“ aufgenommen hat (übrigens eine Hommage an den rumänischen Mystiker und Künstlerphilosophen E.M. Cioran), bediente die Programme: Der Rest der Musik kam vom Band.

Die kurzen Pausen sorgten für stille Abwechslung von der allerdings auch sonst eher gemäßigten Performance. Lydia Lunch versuchte nicht, sie krampfhaft zu überbrücken. Sie maß die Länge der Bühne aus, umarmte hier, schlich da herum, zündete sich eine Zigarette an und stellte lakonisch fest, daß Stille etwas sehr, sehr Angenehmes habe. Ob es ihr Spaß gemacht hat? Der Auftritt wirkte genau so wie ihre Begrüßungsworte: „Hello, Berlin! It's good to be back. And it's good to leave.“ Gerrit Bartels