piwik no script img

Der öffentliche Dienst ist kein Vorbild

Der öffentliche Dienst hat bei den Lehrstellen schlechte Bilanz: Seit 1994 wurden über 2.000 Ausbildungsplätze abgebaut, hat die Jugendvertretung ausgerechnet. Auch Bundeseinrichtungen bilden weniger aus  ■ Von Jeannette Goddar

Der öffentliche Dienst bietet immer weniger Jugendlichen einen Ausbildungsplatz. Seit 1994 wurden in den Senatsverwaltungen und Bezirksämtern 2.152 Ausbildungsplätze abgebaut. Das hat die Hauptjugend- und Auszubildendenvertretung des Landes Berlin errechnet, als sie die Listen zu ihren Wahlen erstellte. Waren 1994 noch 7.449 Auszubildende unter 26 Jahren wahlberechtigt, sind es heute nur noch 5.297. Damit liegt die Ausbildungsquote im öffentlichen Dienst deutlich unter fünf Prozent. Alleine 700 Ausbildungsplätze wurden bei der Polizei abgebaut; 250 in den Bezirksämtern.

Die Zahlen stehen in deutlichem Gegensatz zu denen, die die Senatsverwaltung für Inneres, die zentral für alle Hauptverwaltungen ausbildet, veröffentlicht. Ihrer eigenen Berechnung nach werden über 15.000 Jugendliche ausgebildet. Mitgezählt sind dabei allerdings Referendare, die erst nach einem abgeschlossenen Hochschulstudium in den Staatsdienst gehen, Beamte auf Probe sowie Schülerpraktikanten. „Die Zahlen werden bewußt geschönt“, sagt Arne Kroeplin, Vorsitzender der Jugendvertretung. Obwohl die Azubis seit Jahren auf eine Tariferhöhung verzichteten, würden keine zusätzlichen Plätze geschaffen. Das Argument, der Stellenabbau in Polizei und Verwaltung bringe automatisch auch einen Abbau von Ausbildungsplätzen mit sich, läßt er nicht gelten. „Ob ich ausbilde oder nicht, ist immer auch eine politische Entscheidung.“

Dafür spricht auch ein Blick auf die Lage in den Bezirksämtern: Die Einstellungszahlen von 1997 sind enorm. Spitzenreiter waren Köpenick, Wedding und Neukölln mit jeweils 25 bis 30 neuen Lehrlingen. Alle drei Bezirke bilden nicht nur Verwaltungsangestellte und Bürokräfte aus, sondern nehmen auch Lehrlinge in gewerblichen Berufen auf: Gärtner, Köche oder Kfz-Mechaniker werden in Grünflächenämtern oder im Sport- und Freizeitzentrum ausgebildet.

Schlußlicht ist ausgerechnet das von einer grünen Bürgermeisterin regierte Schöneberg. Ganze sieben neue Lehrlinge wurden hier eingestellt; darunter vier im gehobenen Dienst. Auch das grün regierte Kreuzberg liegt mit elf Neueinstellungen ganz hinten. Begründet wird dies mit dem mangelnden Bedarf. „In diesem Jahr werden wir noch weniger Leute einstellen“, bekennt der Kreuzberger Ausbildungsleiter Detlef Noack freimütig. „Die, die wir ausbilden, wollen wir auch übernehmen. Versuchen Sie mal, als Verwaltungsangestellter in der freien Wirtschaft unterzukommen.“

Als „zynisch“ bezeichnet der Sozialökonom Peter Grottian, der im vergangenen Jahr einen „alternativen Lehrstellenbericht für Berlin“ vorlegte, diese Haltung. „Wenn man die Verwaltungsreform ernst nehmen würde, müßte man exakt hier ansetzen.“ Ein bürgernäheres und kundenfreundlicheres Bezirksamt könne ohnehin nicht nur mit Verwaltungskräften arbeiten. „Warum werden nicht in der Nachmittagsbetreuung an den Schulen Erzieher oder Jugendarbeiter ausgebildet?“ fragt Grottian. Große Arbeitgeber wie Wohlfahrtsverbände und Kirchen böten ferner durchaus Arbeitsplätze, die denen im öffentlichen Dienst ähnlich seien. Auch sei hinreichend bekannt, daß Qualifikation auch ohne anschließende Übernahme sinnvoll ist. „Wir können die Jugendlichen doch nicht ins offene Messer laufen lassen.“ Aus Grottians Lehrstellenbericht geht hervor, daß 60.000 bis 65.000 Jugendliche in Berlin strukturell ausgegrenzt werden.

An der Ausgrenzung beteiligt ist auch der Bund: Trotz des Umzugs zahlreicher Einrichtungen nach Berlin werden bereits massenhaft Ausbildungsplätze abgebaut: Wurden 1994 in Berlin noch 1.413 Jugendliche in Einrichtungen des Bundes ausgebildet, waren es 1997 nur noch 627. Vergessen scheinen die Worte von Bundeskanzlers Helmut Kohl: „Auch der Staat steht in der Pflicht und in der Mitverantwortung für ein ausreichendes Angebot an Lehrstellen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen