Neues Zeitalter kommt mit Verspätung

■ Auch am zweiten Tag des Sommerfahrplans herrschte Chaos auf der Stadtbahn. Die Züge fuhren unpünktlich, Mitarbeiter waren völlig desorientiert. Erklärungen für das Desaster gibt es immer noch nicht. Fa

Das Chaos bei der Eröffnung der Stadtbahn mündete gestern in ein Informationsdesaster. Auch am zweiten Tag der Geltung des Sommerfahrplans gelang es der Bahn nicht, ihre Züge rechtzeitig rollen zu lassen. Vor allem aber fehlte es weiterhin an jeder Information: Weder wurden die Fahrgäste über Wege aus dem Durcheinander informiert, noch wurde die Öffentlichkeit bis gestern abend über den Grund des Tohuwabohus unterrichtet.

Auf den Bahnsteigen herrschte weiterhin Konfusion. Vor dem Ansagehäuschen auf dem Bahnsteig drängelten sich hilflose Fahrgäste. Hektisch stürzten sie sich auf jeden blauuniformierten Bahnmitarbeiter, der sich schüchtern aus der Tür wagte, den Kunden aber kaum weiterhelfen konnte.

Am Sonntag war die Stadtbahnstrecke nach vier Jahren Bauzeit und einer Investition von 2 Milliarden Mark wiedereröffnet worden. Bahnchef Johannes Ludewig sprach vom „Beginn eines neuen Zeitalters“. Dann brach die Verkehrskatastrophe aus: Züge kamen viel zu spät, Anzeigetafeln fielen aus, die Bahnbediensteten waren restlos überfordert.

Regionalzüge, die seit Sonntag auch am Ostbahnhof halten sollten, stoppten erst in Lichtenberg. Etliche Reisende standen frustriert am Bahnsteig. Es hätte sie gewundert, schimpfte eine Frau, wenn alles reibungslos funktioniert hätte, „so, wie es hier noch vor einer Woche nach Baustelle ausgesehen hat“. Lehrerin Silke Czach war völlig aus dem Häuschen. Dreimal hatte sie die ratlosen Bahnangestellten nach ihrem Zug gefragt. Als sie mit ihrer 26köpfigen Schulklasse auf das Gleis hechelte, konnten sie nur noch den Rücklichtern des ausfahrenden Zuges nachblicken. „Persönlich enttäuscht“ war auch ein Bahn-Mitarbeiter: „Wenig von dem, was wir in der Reklame versprochen haben, konnten wir bisher halten.“ Die sonst stets stolz auf den neuesten Stand gebrachte Verspätungstafel am Bahnhof Zoo zeigte immer noch die Zeiten vom Freitag – die Anzeige für Sonntag wäre wohl zu vernichtend ausgefallen. Auch die Züge waren überfüllt.

Zu den Gründen für den Wirrwarr konnte die Bahn gestern immer noch nichts sagen. Es habe „erhebliche Beeinträchtigungen“ gegeben, das Kundeninfosystem im Ostbahnhof sei „total ausgefallen“. Die Pressestelle war den ganzen Tag lang nicht zu erreichen. Gerüchteweise hieß es, der Ausfall der Signal- und Gleisanlagen im Stellwerk Rummelsburg sei eine Ursache für den Blackout. Eine Expertengruppe versuche die Mißstände zu beseitigen.

Reisenden, die wegen Verspätungen das Taxi nehmen oder übernachten mußten, will die Bahn gegen Vorlage des Fahrscheins das Geld erstatten. Sie will als Entschuldigung alle BerlinerInnen an einem Wochenende für 2 Mark auf der Stadtbahn fahren lassen – wenn sie dazu irgendwann wieder Lust haben. Kirsten Küppers