Die Bundeswehr wird belagert

■ 300 Neuköllner Jugendliche drängelten sich auf einer Info-Veranstaltung zum Thema Ausbildung

Die „Veranstaltung der anderen Art“ beginnt mit Musik und Losausfüllen: Wer seinen Berufswunsch, Alter und Klasse angibt, kann am Ende zwei Karten für das Ärzte-Konzert gewinnen. Inzwischen ist der Saal in der Neuköllner „Werkstatt der Kulturen“ gerammelt voll, und zu den letzen Klängen der Jugend Bluesband tritt auch schon Bezirksbürgermeister Bodo Manegold auf die Bühne und freut sich, „daß ihr so zahlreich erschienen seid, denn wir wollen ja gerade mit euch reden“.

Geladen waren Neuköllner Jugendliche zu einer Gesprächsrunde mit Experten aus Unternehmen, Politik und öffentlichem Dienst. Gekommen waren 300 Jugendliche, die meisten ausländischer Herkunft. Die Gesprächsrunde ist ein Versuch des Bezirksamts im Rahmen eines größeren Programms, persönlichere Bindungen zu knüpfen. Jugendliche sollen sich bei bei der Arbeitssuche nicht alleine fühlen. Die Infotische der Unternehmen und die Diskussion sollen dabei helfen. Thema: „Ausbildung in Neukölln – Wo habe ich die besten Chancen?“

Genau das fragt sich auch Ken Gesche, der mit seinen Eltern im Publikum sitzt. Er ist 17 Jahre, hat sich mehrmals um einen Ausbildungsplatz bei verschiedenen Tischlereien beworben und nur Absagen bekommen. Zu dieser Erfahrung liefert der Tischler in der Expertenrunde die passenden Zahlen: „In unserem Betrieb sind bis 2010 alle Lehrstellen vergeben.“ Er rät, sich persönlich vorzustellen, auch gute Schulnoten, besonders in Mathe, seien wichtig. Deshalb auch sein Tip an die Mutter eines Jungen mit gefährdetem Hauptschulabschluß: Der Sohn solle die Klasse lieber noch mal wiederholen.

Die jungen Gesichter im Publikum werden länger. Doch dann tritt Frau Zabel vom Arbeitsamt Süd ans Mikrofon: „Viele von euch kennen mich, und ich will jetzt auch mal eine gute Nachricht loswerden“, sagt sie. In diesem Jahr habe man von 5.000 Bewerbern bereits 3.000 jungen Menschen eine Lehrstelle vermitteln können, das seien 43 Lehrstellen mehr als im letzten Jahr. Für alle, die keinen Schulabschluß haben, will das Arbeitsamt einen einjährigen Lehrgang einrichten: „Wir versprechen euch, daß jeder, der zu uns kommt, eine Lehrstelle bekommt, ihr müßt euch nur immer wieder bewerben“, verkündet Zabel und lächelt ins Publikum.

Das findet Patricia Karow inzwischen nicht mehr so lustig. Sie hat einen guten Realschulabschluß und läuft seit letztem September zu Frau Zabel ins Arbeitsamt. Für „alles mögliche“ habe sie sich beworben und nur zwei Stellenangebote bekommen, die beide uninteressant gewesen seien.

Die anfänglich zähe Diskussion wird immer lebhafter, vor allem das „Bundeswehrzentrum für Nachwuchsgewinnung“ ist gefragt. „Kann man nicht ein Gesetz schaffen, das Ausbildung vorschreibt?“ schlägt eine Jugendliche vor, und ein anderer will wissen, warum es die Handwerkskammer vielen Betrieben, die ausbilden wollen, so schwer mache. Am Ende der Diskussion verspricht die Bewag allen Anwesenden einen Bonus für ein Vorstellungsgespräch.

Rabih Cheiko hat sein Realschulzeugnis und seinen Paß mit zur Diskussion genommen. Darin steht nämlich, daß ihm „die Aufnahme eines Studiums oder einer sonstigen Berufsausbildung nicht gestattet ist“. Der Siebzehnjährige fragt, was man da machen kann. „Ein schwieriger Fall“, lautet die Antwort aus der Expertenrunde. „Vielleicht sollten die in Berlin Geborenen die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen“, lautet ein Vorschlag aus dem Publikum – zustimmendes Gegröle im Saal. Britta Steffenhagen