Ignoranz kam Atomindustrie gelegen

■ Seit Jahren warnen ausländische Behörden deutsche Stahlenschützer vor dem Kontaminationsproblem beim Transport von Brennelementen

Die ersten Informationen über eine zu hohe Strahlung an der Oberfläche der Atombehälter liegen seit mindestens 1984 vor. Das Bundesumweltministerium (BMU) und seine ausführenden Behörden hätten es damals schon über die jährlichen Kontaminationsberichte der französischen Strahlenschutzbehörde Opri erfahren können.

Seit 1986 erhält die deutsche Firma Nukleare Transportleistungen (NTL) Informationen vom französischen WAA-Betreiber Cogema über kontaminierte Transporte. Die Cogema berichtet auch dem staatlichen Stromkonzern Electricité de France. Schließlich meldet NTL auch seit 1988 die Kontaminationen an die deutschen AKW-Betreiber Bayernwerk, RWE, Veba, HEW und die Energie Baden-Württemberg.

Dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), gegründet 1989 und unter Aufsicht des BMU, liegt seit 1990 auch ein Sicherheitsreport der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) vor, in dem das Problem der Behälterkontamination erkannt wird. Der „Sicherheitsbericht Nr.37“ forderte Abhilfe: „Bei der Beladung von Brennelementbehältern in Kühlwasserbecken (...) wird Kontamination möglicherweise nicht nur auf der Oberfläche [der Behälter, Anm. d. Red.] gehalten, sondern möglicherweise absorbiert in die lackierte oder sogar metallene Oberfläche.“ Es sei zu berücksichtigen, daß die Kontamination nicht an den Behälter gebunden sei.

Gestern erklärte das BfS, natürlich läge auch dem BMU der IAEO-Bericht Nr. 37 vor. „Zwischen dem BfS und dem BMU hat es aber keinen Austausch diesbezüglich gegeben.“ Schließlich arbeitet in Frankreich 1992 und 1993 eine Arbeitsgruppe des Strahlenschutzinstituts (IPSN), um Behälterkontaminationen zu diskutieren. Der Partner von IPSN, die deutsche Gesellschaft für Reaktorsicherheit und ebenfalls dem Umweltministerium unterstellt, will aber nichts von den französichen Kollegen erfahren haben.

Dann tritt Ruhe ein. IPSN hält von 1993 bis 1997 Informationen über Kontaminationen zurück, was den deutschen AKW-Betreibern sehr gelegen kommt. Nebenbei weist Merkel am 7. März 1997 die hessische Atomaufsicht an, von AKW-Betreibern keine Informationen mehr über Transporte nach Frankreich zu verlangen.

Das Kontaminationsproblem bleibt ungelöst. Im Oktober 1997 verklagt der Europäische Gerichtshof die Bundesregierung und das zuständige BMU wegen Verschleppung einer Richtlinie zur besseren Kontrolle von Atomtransporten. Ende April 1998 veröffentlicht der Weltinformationsdienst für Energie (Wise) in Paris – eine Nichtregierungsorganisation – Papiere und Meßwerte, die die Überschreitung der Strahlengrenzwerte an der Oberfläche von Transportbehältern belegen. Am 28.4. mißt in Frankreich auch die Atombehörde DSIN eine Kontamination an 35 Prozent der Castoren im Verladebahnhof Valogne bei La Hague und veröffentlicht zwei Tage später die Meßwerte.

Trotz der Vorwürfe läßt das BMU am 4. Mai noch einmal Brennelemente von Stade nach La Hague fahren. Am 13. Mai schließlich stoppt die französische Staatsbahn auf Druck der Bahngewerkschaft alle Atomtransporte von AKW zur Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague, bis geklärt ist, wie stark die Bahnarbeiter kontaminiert wurden. Am 14. Mai setzte Angela Merkel die deutschen Atomtransporte nach Frankreich aus. Peter Sennekamp