Fällig wäre Angela Merkel allemal. Denn das angebliche Nichtwissen um die Oberflächenverstrahlung der Atomtransporte ist nicht die erste Pleite für die Umweltministerin. Zu treu vollzieht sie stets den Willen des Kanzlers, zu ungebrochen is

Fällig wäre Angela Merkel allemal. Denn das angebliche Nichtwissen um die Oberflächenverstrahlung der Atomtransporte ist nicht die erste Pleite für die Umweltministerin. Zu treu vollzieht sie stets den Willen des Kanzlers, zu ungebrochen ist ihr Vertrauen in die Industrie.

Erste Erfüllungsgehilfin

Erstmals in ihrer dreieinhalbjährigen Amtszeit steht Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) am Rande eines Rücktritts. Dabei gab es für sie schon früher Gründe genug, ihren Hut zu nehmen. Denn Umweltpolitik ist unter Kohl kaum zu machen. Doch Merkel reagierte stets auf ihre Weise: gehorsam. Immer wieder ordnete sie sich der Kabinettsräson unter.

Anders als ihr Vorgänger Klaus Töpfer, der mit umweltpolitischen Ankündigungen immer wieder seine Themen auf die Tagesordnung brachte, vollzieht Merkel treu den Willen des Kanzlers. Exemplarisch dafür ist ihr Umgang mit dem kritisch engagierten Umweltbundesamt (UBA). Während „Ankündigungsminister“ Töpfer geschickt mit der untergeordneten Behörde Doppelpaß spielte und die UBA-Experten Sachen sagen ließ, die er selbst aus Loyalitätsgründen nicht sagen durfte, verpaßte Merkel ihren hochbezahlten Experten einen Maulkorb.

Eines ihrer wichtigsten Projekte, die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, ließ sich die Ministerin von der Bauernlobby um Landwirtschaftsminister Borchert komplett verwässern. Das wäre schon ein Grund zum Rücktritt. Statt gegen ihren Kabinettskollegen wacker zu kämpfen, machte sie die Änderungen sogar zu ihrer eigenen Sache, trug das Gesetz nibelungentreu zu Grabe. Denn von Anfang an war klar: Die bauernfreundlichen Entschädigungsregelungen von Borchert waren im Bundesrat nicht durchzusetzen.

Anders auch als ihr Vorgänger, der eher mißmutig seine nuklearen Verpflichtungen durchzog, ist Merkel eine Verfechterin der Atomenergie. Selbst russischen AKW bescheinigte sie 1996 anläßlich des zehnten Jahrestages von Tschernobyl „robuste Technik“. Atomkraftgegner sind für sie eine Gefahr für die Sicherheit der AKW, weil sie mit ihren Aktionen und Gerichtsklagen Ressourcen binden würden, die ansonsten in die Verbesserung der Unfallvorsorge gesteckt werden könnten.

Entsprechend ungebrochen war bisher ihr Vertrauen in die Industrie. Eigentlich in fast allen Bereichen setzte sie auf deren Eigenverantwortung – vom Grünen Punkt über den Klimaschutz bis zur Umweltprüfung von Betrieben nach dem Öko-Audit. Ein Vertrauen, das ihr nun zum Verhängnis werden könnte. Denn die AKW-Betreiber hielten es zehn Jahre lang nicht für nötig, ihr Ministerium von den radioaktiv verschmutzten Castor-Behältern zu informieren. Und Merkels Unwissenheit, so sie denn wirklich nichts wußte, fällt nun auf sie zurück.

Und es ist nicht die erste Enttäuschung. Pünktlich zum ersten Tag des Klimagipfels in Kioto im vergangenen Dezember, als Merkel für Deutschland international auftrumpfen wollte, verkündete der Verband der Autoindustrie (VDA) zu Hause, den Ausstoß der Autos bis 2005 nicht wie geplant um 25, sondern nur um 6 Prozent verringern zu können. Merkel nahm es widerspruchslos hin. Die Industrie weiß, daß Merkel ihr nicht gefährlich werden kann. Im Zweifel wenden sich die Unternehmer an den Chef persönlich. So stoppte der Kanzler etwa 1995 die Debatte um eine Energiesteuer, die Schäuble und Merkel als Ersatz für den abgeschafften Kohlepfennig angeregt hatten.

Diese Parteitaktierereien und der zähe Widerstand der Lobbyisten in den Bonner Hinterzimmern sind zwar ihr täglich Brot, doch sie beherrscht die Regeln dieses Machtspiels noch nicht ausreichend. Vielleicht, weil sie ihr zuwider sind. Eigentlich hatte die Tochter eines linken Pfarrers aus dem brandenburgischen Templin gehofft, daß in einer Demokratie anständig gestritten werde über die Ziele und Methoden von Politik, sagt sie. Auf diese offene Art die geliebte soziale Marktwirtschaft zu verwirklichen, dafür war sie angeblich in die Politik gegangen bei der Wende 1989. Statt dessen aber Parteigekungel und eine Bonner Presse, die mit verwunderter Begeisterung jede ungeschickte oder trotzige Bemerkung Merkels abseits der Regierungslinie groß in die Schlagzeilen brachte.

So nutzt sich langsam ab, was eigentlich einer der Stars in der deutschen Politik hätte sein können. Immerhin zog sie 36jährig als CDU-Seiteneinsteigerin 1990 mit einem Direktmandat in den Bundestag ein und wurde gleich Ministerin für Frauen und Jugend, später stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und Chefin des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern.

Als sie nach der letzten Wahl im November 1994 noch einmal ins wichtigere Umwelt- und Atomministerium befördert wurde, nutzte sie ihr politisches Gewicht nicht. Als junge Vorzeigeossi war sie eigentlich unangreifbar und hätte die dortigen industriehörigen Macher auf Trab bringen können. Doch auch, wo die Industrie den Weg nicht verbaut, glänzte Merkel nicht. Etwa beim Naturschutz, eigentlich auch ein klassisches Anliegen der Konservativen. Nichts für die Physikerin Merkel. In ihrem Wahlkreis auf Rügen wetterte sie gar gegen ein neu geplantes Landschaftsschutzgebiet; Jobs seien wichtiger als Umweltschutz.

Es scheint, als wäre Merkel nur in einem Umweltschutzthema so richtig mit dem Herzen dabei: Klimaschutz. Von Supercomputern ausgeworfene Klimaprognosen passen eben in die Gedankenwelt der Physikerin. Auf Klimakongressen blüht sie auf. In Kioto etwa stand ihr die Befriedigung ins Gesicht geschrieben, als sie nach einer durchwachten Nacht mit umränderten, aber strahlenden Augen von einem verhältnismäßig guten Kompromiß berichten konnte. Hier hatte sie einmal den Rückhalt von Kohl und trieb die wankelmütige EU zu härteren Verhandlungen. Doch zu Hause das alte Lied: Wirksame Klimaschutzmaßnahmen scheitern an der Industrie. Reiner Metzger, Matthias Urbach