Das Licht fällt melancholisch

Kormorane im Nest, ein emsig schreibender Bert Brecht und andere magische Augenblicke: Die Akademie der Künste zeigt die erste deutsche Retrospektive der 1933 emigrierten Fotografin Ellen Auerbach  ■ Von Michael Nungesser

Am 20. Mai war ihr 92. Geburtstag. Doch trotz des hohen Alters ist Ellen Auerbach von New York nach Berlin gekommen. Das mag historische Gründe haben: Erstmals ist jetzt in Deutschland ein Ausschnitt aus dem fotografischen Lebenswerk von Ellen Auerbach in der Akademie der Künste im Hanseatenweg zu sehen.

Eigentlich habe sie selbst nie das Gefühl gehabt, Fotografin zu sein, meinte sie anläßlich der Berliner Eröffnung der Retrospektive, bei der auch ihre 16-mm- Kurzfilme vom Beginn der dreißiger Jahre gezeigt werden. Diese Bescheidenheit ist zum einen den vielen Neuanfängen in ihrem Leben geschuldet. Andererseits widmete sie sich vor allem in den letzten Jahrzehnten der Erziehungstherapie für lerngestörte Kinder. Das Fotografieren jedenfalls dominierte nie ihr Leben, die tägliche Routine des Bildjournalisten war erst recht nicht ihre Sache.

Geboren als Ellen Rosenberg in Karlsruhe, studierte sie anfangs Bildhauerei, bevor sie eine eigene Kamera geschenkt bekam und das Medium wechselte. 1929 ging sie nach Berlin und wurde Privatschülerin beim Bauhaus-Fotografen Walter Peterhans. Mit dessen zweiter Schülerin, Grete Stern, gründete sie noch im selben Jahr ein eigenes Fotostudio, sie nannten es – nach ihren Spitznamen aus der Kinderzeit – ringl + pit. Das Studio brachte zwar keine großen geschäftlichen Erfolge, lehrte die beiden Frauen aber handwerkliche Finessen und vor allem neues Sehen. Nach Hitlers Machtergreifung ging die Fotografin 1933 nach Tel Aviv, wo sie mit ihrem späteren Mann, dem Fotografen Walter Auerbach, ein Studio für Kinderfotografie unterhielt. Kurzfristig wechselte sie nach London, wo sie Grete Stern wiedertraf, bevor sie 1937 endgültig in die USA emigrierte; seit 1944 lebt Ellen Auerbach in New York.

Die Ausstellung gibt mit rund 150 Aufnahmen einen angemessenen Querschnitt durch ihr Werk. Von einigen Farbexperimenten abgesehen, handelt es sich meist um kleine Abzüge in Schwarzweiß. Der Bogen spannt sich von den frühen Bildern aus der Zeit mit Grete Stern über einige Beispiele zur Auftragsfotografie – unter anderem für das Time Magazine in New York – und zeigt das breite Motiv-Spektrum einer eigenen Wahl, das sich klaren Einordnungen widersetzt.

Viele Fotos sind aus den jeweiligen Lebensstationen entstanden oder einfach auf ihren Reisen nach Südamerika, Mexiko, Griechenland, Mallorca, Norwegen, Deutschland und Österreich. Trotzdem vermitteln die Bilder nie den Eindruck von Reisefotografie, sondern halten Situationen, Augenblicke, Stimmungen fest.

Schon die surreal arrangierten Werbeaufnahmen aus der Zeit von ringl + pit zeichnen sich durch genaue kompositorische Ordnung und Lichtführung aus. Parallel dazu spärlich möblierte Innenräume von geradezu irreal anmutender physischer Intensität. Vom Aufenthalt im jungen Einwandererland Palästina sind Landschaften und Familienszenen zu sehen, aus London triste Milieustudien, ergänzt um den emsigen Arbeitsalltag des schreibenden Emigranten Bert Brecht. Zu diesen Porträts gesellt sich ein bunt-fragmentarisches Mosaik der neuen Heimat USA: die kühnen Sprünge der Tänzerin Renate Schotelius auf Manhattans Dächern; der Fotograf Eliot Porter, klein, von oben gesehen, auf breiter regennasser Straße; Kormorane im Nest; ein verlassenes Haus auf Gott's Island; ein Spaziergang im nebligen Wald von Kalifornien. Dazu Bilder von tanzenden Bäumen auf Mallorca, von antiken Statuen und rauchenden Schornsteinen in Hellas, von Mexikos kirchlicher Barockpracht und Indiokindern.

Jede Aufnahme von Ellen Auerbach steht für sich, greift einzelne, meist heterogene Motive heraus und bindet sie kompositorisch. Damit schafft die Fotografin eine eigenartig berührende Atmosphäre: Augenblicke des Innehaltens und der Melancholie – magische Augenblicke.

Die Arbeiten sind keine Schnappschüsse und keine eingefrorenen Dokumente, sie wirken eher, als wären viele Bilder in einem zusammengefügt, das nicht stillstehen will. Auerbach sucht „etwas“ – so ihre eigenen Worte – „das hinter den Dingen steht“, und dies gelingt ihr immer wieder neu, mit großer Einfühlsamkeit und dem, was sie das „dritte Auge“ nennt.

Bis 7. Juli, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten.

(Katalog: 28 Mark).