Ruinenimagetransfer

Nichts ist unmööglich – Pom-pe-jii! Sponsoren, von Gucci bis Toyota, sollen den Verfall der antiken Trümmerstadt stoppen  ■ Von Werner Raith

Pietro Longo, Archäologieprofessor an der Universität Perugia, könnte die Wände hochgehen: Wohin er sich auch wendet, allüberall stößt er an Bretterverschläge mit dem roten Schild: „Vietato l'accesso“, Betreten verboten. Seit er mit der Abiturklasse des Tourismusgymnasiums A. Filosi aus Terracina die zentralen Bezirke der pompejischen Ausgrabungsstätten um das alte Forum verlassen hat, findet er keinen Rückweg mehr. Ob die Via delle terme (deren östlicher Teil abgesperrt ist) oder die Via del Vesuvio (Nordhälfte unbegehbar), ob die Große Palästra oder der Weg zum griechischen Theater: allüberall verhindern Verbote oder dicke Kordeln das Weitermarschieren. Teilweise sind massive Stützbalken als Grund für das Betretverbot erkennbar: Einsturzgefahr. Entnervt scheucht Professor Longo seine Klasse schließlich am östlichen Ausgang hinaus aus der archäologischen Zone und geht über die Hauptstraße des modernen Pompeji zum Autobus zurück.

Pompeji, die Stadt, die mehr als 1.500 Jahre unter Lava und Asche fast taufrisch konserviert war, scheint nun dank moderner Abgasentwicklung und des unbeschränkten Massentourismus wohl doch noch zum endgültigen Verfall bestimmt. „Das Geld, das uns der Staat zur Erhaltung gibt“, murrt Pier Giovanni Guzzi, der Superintendent der Ausgrabungen von Pompeji, „gerade mal fünf Milliarden Lire (5,1 Millionen Mark), reicht nicht einmal für die alltäglichen Ausgaben wie Müllabfuhr, Säuberung der Ausgrabungen, ausreichendes Wachpersonal.“ An die zweieinhalb Millionen Touristen schlurfen Jahr für Jahr durch die antike Kleinstadt, die seinerzeit gerade mal 15.000 Einwohner hatte. Nur 44 der 66 Hektar des ummauerten Stadtbereichs sind bis heute ausgegraben; der Rest liegt unter privaten Weinbergen oder darübergebauten Häusern. Von den freigelegten 44 Hektar sind derzeit für das Publikum nicht einmal 15 Hektar geöffnet. Konsequenz: die Besucher drängeln sich allesamt in den paar freigegebenen Bezirken. Auf dem Forum, hat ein Mitarbeiter Guzzis errechnet, stehen die Leute mitunter so dicht, daß zwei Personen auf einen Quadratmeter kommen. Doch die geringe Zahl von Aufsehern zwingt derzeit, so Superintendent Guzzi, „eher zu noch mehr Bezirksschließungen denn zur Erweiterung“.

Das alles soll, so jedenfalls verspricht es Roms Kulturminister und stellvertretender Regierungschef Walter Veltroni, bald besser werden. Zwar wird der Staat die derzeitigen Erhaltungskosten nicht um eine einzige Lira aufbessern, dafür aber soll, wie auch bald in anderen historisch wichtigen Gebieten Italiens, private Initiative Zugang erhalten. Italiens archäologische Schätze werden künftig von Sponsoren betreut. Die dürfen alle finanziellen oder materiellen Einsätze für die antiken Preziosen von der Steuer absetzen und, was für die meisten wohl noch wichtiger ist, mit dem von ihnen gesponserten Kulturgut auch Reklame machen. Superintendent Guzzi ist mit einer solchen Lösung einverstanden, zumal die Regierung der Verwaltung der Ausgrabungsgebiete weitgehende Autonomie zusichert. Allerdings müsse klargestellt sein, daß „am Ende nicht riesige Sponsorplaketten die archäologischen Besonderheiten überdecken“.

Das aber ist, so unser Professor Longo eher skeptisch, genau die Frage: „Wird das nicht eines Tages ausufern – dann nämlich, wenn die alten Stücke endgültig nur noch am privatwirtschaftlichen Tropf hängen und die Alternative zu den Nutzungsforderungen der Sponsoren deren sofortiger, ersatzloser Rückzug ist?“ Daß sich Armani oder Gucci oder Laura Biagiotti vor allem dann zum Sponsern bereitfinden, wenn sie danach ihre Moden auf dem Markplatz von Pompeji vorführen dürfen – vielleicht gar mit einem schnell aufgebauten Styroportempel auf dem Forum oder in der Basilica –, versteht sich von selbst. Und daß Toshiba, Mitsubishi und Toyota den Italienern, aber auch den jährlich gut 700.000 japanischen Besuchern auch in Pompeji ihre weltweite Allgegenwart dokumentieren wollen, indem sie ihre neuesten Modelle im alten Gemäuer ausstellen, ist auch zu erwarten. Ganz abgesehen von den sowieso allüberall hindrängenden US-Tabakonzernen, die die Schädlichkeit des Nikotins sowieso seit langem gerne mit kulturellen Mäzenatentum überdecken. Professor Longo sieht die Werbespots schon schimmern: „Pompeji by Philip Morris“.

Dabei wird das ganz große Problem wohl gar nicht die werbewirksame Nutzung sein – sondern die Auswahl zu fördernder Projekte. „Natürlich werden sich Mercedes oder Microsoft nicht gerade eine der hinteren Ruinen der Ausgrabungsgebiete zum Sponsern aussuchen“, fürchtet auch Superintendent Guzzi, „die werden sich die Filetstücke nehmen: das Haus der Vettier, die Casa dei Misteri, die Thermen von Stabiae, das Amphitheater; und vielleicht wird der Playboy oder ein Präservativhersteller noch das ,Lupanar‘, das antike Bordell mit den Darstellungen von Kopulationsvarianten, unter seine Fittiche nehmen“.

Die Regierung möchte darum neben den Großsponsoren auch ein paar kleinere Interessenten an Land ziehen, die sich dann mit Abgelegenerem begnügen müßten: Wer sich in Pompeji (oder Herculaneum oder Castellamar di Stabia, den beiden anderen einst verschütteten Orten) engagiert, kriegt gleich mal 30 Prozent der eingesetzten Summe als zinslosen Kredit auf drei Jahre vorgeschossen, „und das könnte auch schon ein örtliches Restaurant oder Hotel oder eine Backwarenfirma aus Neapel anlocken“, so jedenfalls Kulturminister Veltroni. Und damit auch nicht der Eindruck entsteht, alles hänge nur an Sponsoren, hat er dafür gesorgt, daß im Mai zwei weitere Besichtigungsgänge in Pompeji wieder für das Publikum geöffnet wurden.

Die SchülerInnen aus der Abiturklasse von Terracina freilich läßt das alles ziemlich kalt. „Wieso wollen die noch mehr von dem alten Zeugs aufmachen“, sagt eine der jungen Damen, „mir tun die Füße doch jetzt schon so weh, daß ich am liebsten sitzen bleiben und nicht mehr aufstehen würde.“ Kultur ist, jenseits ihres Erhalts, doch auch eine sehr relative Angelegenheit.