Warten auf die furchtbar lahme Justiz

■ Seit 53 Jahren versucht Dänemark die deutsche Justiz zu veranlassen, endlich gegen den SS-Mann Sören Kam wegen Mordes aktiv zu werden

Stockholm (taz) – Nach 53 Jahren scheint sich das Netz um SS- Mann Sören Kam nun doch zusammenzuziehen. So lange steht er in Dänemark auf der Fahndungsliste, und so lange versucht Kopenhagen die deutsche Justiz zu veranlassen, gegen ihn wegen Beteiligung an der Ermordung eines dänischen Journalisten im von den Nazis besetzten Dänemark aktiv zu werden. Bislang vergeblich.

Nun hat das dänische Justizministerium einen neuen Anlauf genommen und die deutschen Strafverfolgungsbehörden gebeten, endlich gegen den 76jährigen ehemaligen SS-Offizier vorzugehen.

Am 30. August 1943 war der Journalist Carl Henrik Clemmensen von einer SS-Patrouille, zu der auch Kam gehörte, in Lyngby auf offener Straße erschossen worden, weil er vor einem Kollegen, der für die Nazis arbeitete, auf den Boden gespuckt und diesen als „Landesverräter“ bezeichnet hatte. Der SS-Mann Helweg-Larsen, der diesen Vorfall mitbekommt, entschließt sich zusammen mit den beiden anderen – dänischen – SS- Leuten Sören Kam und Jörgen Bitsch, „ein Exempel zu statuieren“. Mit acht Schüssen wird Clemmensen getötet.

Helweg-Larsen wird nach der Befreiung wegen der Tat zum Tode verurteilt und hingerichtet, Jörgen Bitsch taucht unauffindbar unter, und Sören Kam nimmt einen anderen Namen an. In den Nachkriegswirren gelingt es ihm, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen, er zieht nach Kempten, arbeitet in einer Brauerei und lebt dort seit 1953 wieder unter seinem richtigen Namen.

Seit Kriegsende steht Sören Kam in Dänemark auf der Fahndungsliste. Seither bekommt die deutsche Justiz regelmäßig Auslieferungsbegehren – die sie ablehnt, da deutschen Staatsbürgern grundsätzlich in Deutschland der Prozeß gemacht werden solle. Aber auch dazu kommt es nicht. 1971 wird wegen Mangels an Beweisen ein Ermittlungsverfahren gegen Kam eingestellt. Kam behauptet, erst auf Clemmensen geschossen zu haben, als dieser bereits tot am Boden lag. Dem widersprechen zwar nicht nur die Logik, sondern auch die Aussage Helweg-Larsens und ein Obduktionsprotokoll. Das stellt fest, daß alle Schüsse fast gleichzeitig auf den stehenden Clemmensen abgefeuert wurden. Die bayerische Justiz gibt sich mit Kams Aussage zufrieden.

Endgültig Gras wäre vermutlich über die Sache gewachsen, wäre der offenbar unverbesserliche Nazi Kam im Oktober 1995 nicht von Antifaschisten dabei gefilmt worden, als er in voller SS-Uniform an einem Nazitreffen in Österreich teilnahm.

1996 lehnt die Bundesrepublik ein neues Auslieferungsbegehren Kopenhagens ab. Daraufhin wird offenbar über politische Kanäle seitens Dänemarks dem deutschen Justizministerium vermittelt, daß die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Ex-SS-Mann 25 Jahre vorher auf rechtlich äußerst zweifelhaftem Fundament ruht und daß dies nicht hingenommen werden könne. Im Juni 1997 kommt von Bonn nämlich die Bitte an Kopenhagen, das Obduktionsprotokoll und die anderen Prozeßakten gegen Helweg-Larsen zu übersenden.

Seit September letzten Jahres ist die deutsche Justiz im Besitz dieses Materials, ohne daß seither etwas passiert wäre. Jetzt wird beim Justizministerium ein dänisches Begehren eingehen, die Strafverfolgung aufzunehmen.

„Wir brauchen jetzt Öffentlichkeit, damit die deutsche Justiz die Sache nicht wieder unter den Tisch fallenläßt“, sagt Frede Klitgaard, Vorsitzender des Verbands der Aktiven Widerstandskämpfer: „Die bisherige Behandlung der Sache war absurd. Aufgrund der UN- Konvention sind alle Länder zur Verfolgung von Kriegsverbrechern verpflichtet. Doch hier hat man die Sache nur in die Länge gezogen, in der Hoffnung, der Mann stirbt weg und man entgeht der Peinlichkeit, daß die ganze Geschichte noch einmal in die Öffentlichkeit gezogen wird.“ Reinhard Wolff