Süd-Korea: Streik vorbei

■ Ohne Zugeständnisse an die Arbeiter droht im Juni eine gewaltsame Konfrontation

Ulsan (taz) – In geordneten Reihen sitzen die Hyundai-Arbeiter vor dem Rednerpult am Taehwa- Fluß von Ulsan und hören ihrem Gewerkschaftspräsidenten Kim Kwang-Shik konzentriert zu. Zehn Minuten der Kampfrede sind kaum durch, dann beginnen die Demonstranten ihr Mittagessen auszupacken, und die Stimmung wird locker. In Ulsan, wo 32.000 Huyndai-Arbeiter ihrem Arbeitsplatz fernblieben und rund 10.000 aktiv an den Demonstrationen teilgenommen hatten, ging der Streik gestern friedlich zu Ende.

Die 80.000 südkoreanischen Gewerkschafter, die dem Ruf des zweitgrößten Gewerkschaftsbundes KCTU folgten und die Arbeit zwei Tage niederlegten, haben Angst. „Ich weiß nicht mehr, wie ich mein Leben gestalten soll“, sagt der 34jährige Automechaniker Kim Hua-shik. 52 Stunden pro Woche hat Kim in den letzten zehn Jahren für Hyundai-Motor gearbeitet. Hyundais Drohung, einem Fünftel der Belegschaft zu kündigen, wird von ihm und anderen geradezu als Liebesentzug erlebt. Es fällt Kim und seinen Kollegen schwer, die Schuld bei der Konzernführung zu suchen.

Obwohl der Internationale Währungsfonds (IWF) mit einem Nothilfepaket über 58 Milliarden Dollar das Land vor dem Bankrott rettete, sucht Süd-Koreas Arbeiterschaft die Schuld beim IWF. „Die Rezepte des IWF funktionieren nicht, wir müssen einen eigenen südkoreanischen Weg aus dieser Krise suchen“, betont der Gewerkschaftsführer Kim Kwang- shik. Nationalistische Töne sind da nicht zu überhören. Arbeitslosigkeit in Europa kennen sie nur vom Hörensagen. Kein Wunder, daß Süd-Koreas Angestellte das Gefühl haben, sie alleine seien von diesem Notstand betroffen.

Unwillen erregt auch die Haltung der Regierung. Präsident Kim Dae Jung hofiere das Ausland und den IWF zu stark, gehört zu den Standardaussagen. Es wird auch offenkundig, daß die neue Regierung noch viel Aufklärungsarbeit leisten muß, um die Arbeiterschaft vom Nutzen ausländischer Investitionen zu überzeugen.

Park spricht sich offen gegen die Öffnung des Landes aus, weil Ausländer nur schnelles Geld verdienen wollten. Die Vorstellung ist tief verankert, daß nur einheimische Konzerne langfristig Arbeitsplätze sichern. So orientierungslos wie die Arbeiter sind die Gewerkschaftschefs nicht. „Dieser Streik war nur der Anfang eines harten Kampfes um die Erhaltung von Arbeitsplätzen in den Konglomeraten“, sagt der Gewerkschaftsführer Kim Kwang-shik.

Er weiß, daß die Regierung diese Streiks als illegal bezeichnet hat und ihm deshalb eine Verhaftung droht. Kim fordert im Hyundai-Konzern eine Arbeitszeitverkürzung um 30 Prozent von gegenwärtig 52 auf 38 Wochenstunden. So könnten die Entlassungen verhindert werden. Gehen die Stellen im Hauptbetrieb verloren, werde dies eine Entlassungswelle bei den Zulieferern auslösen.

„Das werden dann schnell mal 20.000 Arbeitslose mehr in der Stadt Ulsan“, warnt Kim. Für das Hyundai-Management ist die Entscheidung auch nicht leicht. Der Absatz von Autos ist im April auf dem heimatlichen Markt um 50 Prozent zurückgegangen. So produziert der Konzern nur mit einer Auslastung von rund 62 Prozent.

„Im Grunde genommen ist ein Drittel der Belegschaft nicht mehr notwendig“, sagte ein Hyundai- Sprecher. Arbeitszeitverkürzungen sind nur möglich, wenn die Angestellten auch einer entsprechenden Lohnkürzung zustimmen. Aber darüber haben die beiden Seiten noch nicht gesprochen, weil das Management über einen außenstehenden Volkswirt und zwei andere Experten mit den Gewerkschaftern verhandelt.

Die Regierung ist nun im Zugzwang, denn die Gewerkschafter fordern einen Stopp der Massenentlassungen, die in einem halben Jahr über 700.000 Menschen arbeitslos machten und die Arbeitslosenrate auf 6,7 Prozent hochschnellen ließ. Außerdem fordern die Gewerkschaften, daß die Arbeitslosenversicherung ausgebaut wird und neue Verhandlungen über diesen Punkt mit dem IWF aufgenommen werden. Reagiert Kim Dae Jung bis zum 10. Juni nicht, steht Süd-Korea ein Generalstreik bevor. „Der wird Chaos, Gewalt und Tod über das Land bringen“, sagt Kim Kwang-shik. André Kunz