Buckeln im Dienste der Gourmets

Der Spargel unter dem Messer der Arbeitslosen: Nach dem Stechen verschwindet das Königsgemüse nicht selten im Zwischenlager Kühlhaus. Die Qualität marschiert in Richtung Hollandtomate  ■ Von Wolfgang Abel

Spargel ist einer für alle. Meckie Messer wünschte ihn zur Henkersmahlzeit, Brillat-Savarin zum getrüffelten Omlette. Markus Lüperts ließ sich von der Geometrie der steilen Felddämme, die eigentlich Bifänge heißen, zu einem Gemälde inspirieren. Bismark äußerte während eines exzessiven Spargelessens, ihm sei nun „alles Wurst, außer der weiteren Vorlage“. Als Auslöser erotischer Anspielungen funktioniert Spargel so zuverlässig wie eh und je, und zwar vom bierseligen Stammtisch bis zur gepflegten Damentafel.

Die deutsche Spargelsaison begann dieses Jahr infolge launig-widriger Frühlingswitterung mit zwei Wochen Verspätung gegen Ende April, beendet wird die Spargelernte wie immer um den Johannistag, also Ende Juni. Doch mit der Ausweitung des Folienanbaus, der die Bodentemperatur erhöht, kommt es nun auch hierzulande zu immer früheren Ernten. Zudem sorgen Importe aus Südeuropa dafür, daß der Spargel einer allgemeinen zivilisatorischen Entwicklung gehorcht, derzufolge zunehmende Verfügbarkeit mit abnehmender Güte einhergeht. Gleich ob es um Musikfestivals, Erdbeeren oder Spargel geht – die Ganzjahressaison droht. Zumindest bietet der südeuropäische „Märzenspargel“ unserer Gastronomie eine Chance, die einträgliche Spargelsaison auf gut vier Monate auszudehnen. Vor ein paar Jahren mußte man sich noch mit acht Wochen Spargelzeit begnügen.

Die längeren Erntezeiten könnten freilich ebenso wie die Vergrößerung der Anbauflächen bald zum Zusammenbruch des Marktes führen. Seinen noblen Ruf hat der Spargel durch den Massenanbau der milden, marktgängigen, bisweilen schier aromafreien Sorten ohnehin schon eingebüßt. Wozu auch tomatenähnliche Preise beitragen, die jenen Spöttern recht geben, die meinen, gleich ob Glashaustomate oder Folienspargel, es handele sich ohnehin nur um verschiedenfarbige Varianten schnittfesten Wassers – welches im Falle des Spargels zunächst einmal gestochen werden muß. Die für Hand und Knochen gleicherweise mühselige Arbeit besorgen Saisonkräfte aus Osteuropa, ganz überwiegend aus Polen. 200.000 Erntehelfer sind bundesweit im Einsatz, 30.000 allein auf den Spargeläckern Baden-Württembergs. Acht Mark Stundenlohn gibt es für das Buckeln im Dienste der Gourmets. Der Hungerlohn entspricht, über zwei, drei Monate Spargelzeit angespart, in der Heimat freilich einem durchschnittlichen Jahresgehalt. So wird manch finanzielles Fundament, gleich ob für immobile oder automobile Träume, fern der Heimat stangenweise erstochen.

Deutsches Reglement beherrscht mittlerweise freilich auch den Spargelabbau: Nur noch 85 Prozent der 1996 angeforderten Saisonarbeitskräfte dürfen aus Osteuropa stammen. Die Arbeitsämter sollen vermehrt deutsche Arbeitslose in den Spargel schicken, was zu trilateralem Verdruß führt: Die Ämter klagen über erhöhten Verwaltungsaufwand, die Spargelbauern über verwöhnte Hilfskräfte, die schon nach kurzem Gastspiel auf der Scholle von orthopädischen Komplikationen berichten, Polen fürchten um ihre Jobs. Der Spargel ist eben auch soziologisch ein weites Feld.

Gleich ob von deutscher oder fremder Hand gestochen: Die rapide gewachsenen Ernten führen zwangsläufig zur Zwischenlagerung in Kühlhäusern. Mancher Betrieb am badischen Oberrhein besitzt bereits eine Kühlzelle in beachtlicher Dimension, grad so, als handle es sich um eine alte Flaschenbier-Niederlassung. So büßt das heimische Produkt seinen Frischevorteil wieder ein, und der ist beim Spargel eines der wichtigen Qualitätskriterien. Gerade beim sogenannten Königsgemüse lohnt sich der Einkauf aus erster Hand, aber nur, wo Qualität vor Menge geht, was natürlich auch Bodenpflege und Düngereinsatz betrifft. Bei wenigen Gemüsesorten bringt die biologische Anbauweise so klare Geschmacksvorteile wie beim Spargel. Freilich ist biologisch korrekt angebauter Spargel selbst in den Anbaugebieten eine Rarität, was neben der aufwendigeren Bodenbearbeitung und höheren Preisen auch daran liegt, daß größere Flächen nur von spezialisierten, das heißt auch entsprechend mechanisierten Betrieben zu bearbeiten sind. Für Kleinbetriebe mit wenig Land ist die Monokultur Spargel mitsamt ihrer Arbeitsspitze zur Ernte eine Angelegenheit, die nur schwer in den üblichen Arbeitsablauf eines Biobetriebes mit breitem Gemüseangebot zu integrieren ist. Zudem gilt Spargel als „Starkzehrer“, er braucht viel Nährstoffe, also Mist, den nicht jeder Biohof verfügbar hat.

Abwechslung beim Spargelgenuß bringen die verschiedenen Sorten: Grüner Spargel darf an die Sonne, ist vitaminreicher, mit gemüsigem Geschmack. Die in den Mittelmeerländern verbreiteten Sorten bekommen ebenfalls mehr Licht ab, ihr violetter Kopf verspricht eher Eigengeschmack und Bitterstoffe als der aromareduzierte Bleichspargel. Wilder dünner Spargel ist eine Rarität. Wo er auf Märkten angeboten wird, sofort zugreifen, kurz und heftig in Olivenöl anbraten, paßt perfekt zum Risotto.

Beim Kauf verrät sich ganz frischer Spargel durch ein Knistern, es quietscht regelrecht zwischen den Stangen, wenn sie aneinander reiben. Frischer Spargel ist unten feucht, älterer trocken mit sichtbarer Faserstruktur. Faustregel: Was eine Hand umfassen kann, ist eine Portion. Das gastronomieübliche Pfund ist ziemlich reichlich – wenn es denn eines ist. Mit Beilagen reicht eine Hand, das sind sechs gut gewachsene Stangen. Überzeugungstäter gehen auch mal mit zwei Händen ran. Jetzt also die alte Weisheit beachten: „Bis Johanni nicht vergessen – sieben Wochen Spargel essen!“