Die Kandidaten wollen verhandeln

Der neue Präsident, zu dessen Wahl die Kolumbianer am Sonntag aufgerufen sind, soll den bewaffneten Konflikt zwischen Armee, Guerillas und Paramilitärs beenden. Aber auch die wirtschafliche Lage ist nicht rosig  ■ Aus Bogotá Ingo Malcher

In den morgendlichen Radionachrichten gehören zwei Meldungen schon zum Standard: entweder ein bestialisches Massaker paramilitärischer Gruppen an Campesinos auf dem Land oder daß wieder einmal ein hoher Regierungsbeamter sich seinen Lohn mit dem Griff in die Staatskasse aufgebessert hat. Ernesto Samper, der sich seinen Wahlkampf vom Cali-Kartell mitbezahlen ließ, hat nach vier Jahren Amtszeit als Präsident ein Gemisch aus „Gewalt, Korruption, Wirtschaftskrise und Unwürdigkeit“ hinterlassen, resümiert der Expräsident Belisario Betancur (1982 bis 1986).

Samper hat es stets abgelehnt, mit der Guerilla, die mehr als ein Drittel des Staatsgebietes kontrolliert, offiziell zu verhandeln. Kurz vor den Wahlen hat die stärkste Guerillagruppe, die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), angekündigt, mit dem nächsten Präsidenten Friedensverhandlungen führen zu wollen – wer immer es auch sein wird.

Ein Frieden in Kolumbien nach 50 Jahren Gewalt ist zwar noch immer nicht in Sicht, aber zumindest das zentrale Thema im Wahlkampf. Zum einen haben die Kolumbianer den Krieg im eigenen Land satt, zum anderen macht das Ausland Druck, und auch die Wirtschaft hat bemerkt, daß der Krieg schlecht fürs Geschäft ist.

„Wenn es nötig ist, werde ich persönlich mit den Chefs der Guerilla verhandeln“, tönte dann auch der in den Umfragen führende Kandidat der Konservativen, Andrés Pastrana. Mit seinem Wahlbündnis „Große Allianz“ hat der ehemalige Fernsehmoderator vor allem einen Wahlkampf gegen Ernesto Samper geführt. „Mit Samper haben wir vier Jahre verloren“, spricht er aus, was viele denken. Samper selbst kann nicht mehr kandidieren – so geht Pastranas Wahlkampf vor allem gegen dessen ehemaligen Innenminister Horacio Serpa, der für die regierenden Liberalen ins Rennen geht – und dem die Nähe zum Präsidenten wenig angenehm ist. „Serpa ist Serpa, und Samper ist Samper“, wiederholt er immer wieder.

Serpas Liberale und Pastranas Konservative geben sich in Kolumbien abwechselnd das Zepter in die Hand. Politiker aus diesen Parteien haben in Kolumbien einen denkbar schlechten Ruf. Daraus versucht die ehemalige Außenministerin Noemi Sanin (1991 bis 1994) Profit zu schöpfen. Von ihrem Wahlkampfhauptquartier in Bogotá lächelt die blonde 48jährige in der Größe einer Einzimmerwohnung herab. „Opción vida“ – Option Leben – steht in riesigen Lettern daneben, so ist der Name ihrer Liste. Sie tritt ohne straffen Parteiapparat an, wettert pausenlos gegen die „traditionellen Parteien“ und hat es in den Umfragen geschafft, ganz dicht an Serpa heranzukommen. Sollte sie tatsächlich bei der Stichwahl am 21. Juni statt Serpas gegen Pastrana antreten, wäre das eine Sensation.

Ob Präsidentin oder Präsident, wer als nächstes Kolumbien regiert, hat einen steinigen Weg vor sich. „Samper übergibt eine Ruine“, meint Rafael Santes, Kolumnist der in Bogotá erscheinenden Tageszeitung El Tiempo. Und Zentralbankchefin Maria Mercedes Cuellar ist der Ansicht, daß „das Land es nicht mehr ertragen kann, daß es so weitergeht“.

Sein Wahlversprechen, die Inflation zu stoppen, konnte Samper nicht wahr machen, sie liegt weiterhin bei um die 22 Prozent. Das Loch im Staatshaushalt wird von Tag zu Tag größer und ist kurz davor, außer Kontrolle zu geraten. Der kolumbianische Peso ist so schwach, daß die Staatsbank schon mal an ihre Reserven muß, um Schlimmeres zu verhindern.

In der Landwirtschaft sieht es ebenfalls düster aus, weil die kolumbianischen Erzeuger mit fünf Millionen Tonnen importierter Lebensmittel nicht Schritt halten können. Hinzu kommt, daß die Kredite unerschwinglich sind. Daher fürchtet der Präsident der Santander Bank, Gabriel Jaramillo, gar, „daß Kolumbien aus der Gruppe der Länder rausfliegt, die die Wirtschaft immer ernst angegangen haben, denn hier sieht es ganz schlecht aus.“ Auch in seinem zweiten zentralen Anliegen ist Samper gescheitert: Der gewalttätige Konflikt zwischen Guerilla, Paramilitärs und Armee ist immer blutiger geworden. Auf knapp der Hälfte des Staatsgebiets existiert der Staat nicht. Es gibt keine Schulen, keine Gesundheitsposten, keine Sicherheit. „Kolumbien befindet sich im Krieg, will es aber nicht wahrhaben“, so der Verteidigungsminister Gilberto Echeverri.

Die Leidtragenden sind die Campesinos. Direkte Auseinandersetzungen zwischen Paramilitärs und Guerilla sind eher die Ausnahme. Statt dessen fallen die Paramilitärs in Dörfer ein und richten ein Blutbad unter den Bewohnern an, da diese angeblich mit der Guerilla kooperiert hätten. „Die Paramilitärs sind sehr viel gewalttätiger als die Guerilla, sie brauchen Massaker mit 40 Toten für ihre Propaganda, denn dann werden sie gefürchtet, und das gibt ihnen die Macht“, so der Soziologe Alejandro Reyes.

Der Konflikt kostet pro Jahr etwa 10.000 Menschenleben, weitere 20.000 wurden Opfer alltäglicher Gewalt. „Es hat sich eine Trivialisierung der Gewalt in Kolumbien etabliert, es ist keine große Sache mehr“, so Alejandro Reyes. So werden von 100 Morden auch nur vier bestraft, das Justizsystem ist zusammengebrochen. Vor wenigen Tagen hat die Guerilla im Department Putumayo einen bewaffneten Streik ausgerufen. Die Orte der Gegend sind paralysiert, die Straßen leer. Lieferwagen mit Lebensmitteln kommen nicht mehr vorbei, und die Einwohner fürchten, daß sie in andere Landesteile flüchten müssen.

Kolumbien den Frieden zu bringen, wird das Schwierigste für den neuen Präsidenten sein. Viele Militärs denken gar nicht daran, einen Frieden zu akzeptieren, bei dem sie womöglich für begangene Verbrechen von einer Wahrheitskommission zur Rechenschaft gezogen werden. Die Paramilitärs wollen ihre Waffen erst abgeben, wenn die Guerilla entwaffnet ist. Und die Drogenbarone werden „nie einen Friedensprozeß akzeptieren“, so Reyes, denn sie profitieren von der Unübersichtlichkeit.