Sauber! Castor-Werte reingewaschen

■ Im AKW Grohnde wurden aus Frankreich eintreffende Castoren so lange gesäubert, bis die Wischtests den Grenzwerten entsprachen. Mittlerweile sind 89 verstrahlte Atomtransportbehälter bekanntgeworden

Berlin (taz) – Die Atomindustrie hat offenbar gelogen und betrogen. Nach Angaben des Staatssekretärs im niedersächsischen Umweltministerium, Dietmar Schulz, sind im AKW Grohnde Meßprotokolle gefälscht worden. Verstrahlte Atombehälter, die aus den Wiederaufbereitungsanlagen (WAA) in Frankreich und Großbritannien zurückkehrten, wurden demnach erst einmal gereinigt. Anschließend untersuchten die AKW-Angestellten sie dann erneut. Die manipulierten Daten wurden schließlich ins Protokoll eingetragen.

Schulz kündigte den AKW-Betreibern Konsequenzen an. „Die Verantwortlichen für solche Manipulationen dürfen mit Kernbrennstoffen nicht weiter umgehen.“ Auch der Abteilungsleiter Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Gerald Hennenhöfer, sprach von einem massiven Verstoß gegen die Sicherheitskultur.

Insgesamt hat das niedersächsische Umweltministerium bei der Prüfung der entsprechenden Unterlagen 72 Transportbehälter festgestellt, deren Verstrahlung über dem erlaubten Grenzwert lag. Im hessischen Biblis wurden bis 1994 weitere 17 verseuchte Behälter registriert. Die nach der Ankunft gemessene Strahlung lag dort bei mehr als dem Hundertfachen über den zulässigen Grenzwerten.

Noch am Dienstag hatte der Präsident des Deutschen Atomforums, Wilfried Steuer, erklärt, die Vorstände der zuständigen Konzerne hätten von den verstrahlten Transportern nichts gewußt. Diese Aussage erscheint jetzt immer fragwürdiger. Denn die Techniker in den AKWs müßten dann über Jahre hin die skandalösen Ergebnisse ihrer Messungen und die Manipulationen für sich behalten haben.

Der zuletzt mit massiven Vorwürfen gegen seine Aufsichtsbehörde konfrontierte Präsident des Eisenbahnbundesamtes, Horst Stuchly, warf den Kraftwerksbetreibern im Gespräch mit der taz vor, „sich außerhalb des Atomgesetzes begeben“ und unentschuldbar gehandelt zu haben.

Bundesumweltministerin Angela Merkel griff indes die Länder an, sie sollten „Meßprotokolle offenlegen“. Für Messungen innerhalb der Atomkraftwerke sind die Bundesländer zuständig. Niedersachsen hat nach eigener Aussage jedoch erst vor einigen Tagen die Meßprotokolle der niedersächsischen AKW-Betreiber erhalten. Doch Merkel selbst ist schuld: Sie ließ jüngst das Atomgesetz ändern und klammerte die Meldepflicht der Atomkraftwerksbetreiber schlicht aus.

Offensichtlich hat auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) gelogen. Denn gegenüber der taz erklärte die Behörde noch vor zwei Tagen, Verstrahlungen seien nicht schon seit 1985 bekannt, so, wie die Internationale Atombehörde (IAEO) in Wien jetzt berichtet. Tatsächlich sitzt aber der Präsident des BfS, Wilhelm Collin, in dem IAEO-Ausschuß, in dem die Verstrahlungen seit 1985 diskutiert werden. Niels Boeing Bericht Seite 2