Wird Busemann Meier?

Das Meeting in Götzis wirft die Frage auf, ob Zehnkämpfer an neuen, professionelleren Strukturen nicht kaputtgehen  ■ Von Albert Hefele

Götzis (taz) – Wo immer der Erste, Erki Nool, beim 24. Mehrkampfmeeting in Götzis auftauchte, die Gelben waren schon da. In der Mehrzahl mittelalte Herren in aufgeräumter Stimmung, ergänzt durch einige wenige Ehefrauen und deren vermutliche Töchter. Alle mit Käppi, alle in strahlend gelbe, mit dem Abbild ihres Idols bedruckte T-Shirts gehüllt. An mehr oder weniger langen Stangen die schwarz-blau- weiße Fahne Estlands mit sich führend. Sigmars am Akkordeon: Eviva España! Wie die Lorenzschen Graugänse ihren Meister verfolgten die Mitglieder des „Fanclubs Erki Nool“ ihren Helden am Pfingstwochenende auf seinem Weg zu den Wettkampfstätten.

Offenbar mit Erfolg, denn immerhin hat der so begleitete Erki Nool den Zehnkampf mit beachtlichen 8.672 Punkten und Weltjahresbestleistung vor dem tschechischen Weltmeister Tomas Dvorak (8.592) für sich entschieden. Indiz für die Wirksamkeit akustischen Dopings? Darüber kann man letztendlich nur spekulieren. Die Konkurrenz war jedenfalls von vornherein sehr ausgedünnt. Der Finne Hämälainen, nach Jahren erstmals gar nicht am Start, der 8.500-Punkte-Amerikaner Chris Hoffins gleich nach den 100 Metern draußen. Busemann hat es am Rücken, von Paul Meier, dessen Karriere wohl beendet sein dürfte, gar nicht zu reden.

Irgend was scheinen diese Mehrkämpfer falsch zu machen, denn bei den Frauen sieht es nicht besser aus. Ghada Shouaa nicht da, Denise Lewis wegen Verletzung nicht mal zum ersten Wettkampf angetreten, Sabine Braun schon nach den 110 m Hürden am Ende. „Eine alte Verletzung am Fußballen...“ Machen schlicht die Knochen und Sehnen und Bänder nicht mehr mit?

Klar ist, daß der Mehrkampf ein Anforderungspaket mit extrem hohem Verschleißpotential darstellt. Stabhochsprung und Diskuswerfen, Speerwerfen und Sprints. Äußerst trainingsintensive und strapaziöse Kombinationen, die ihre Spuren hinterlassen. Das ist aber nichts Neues und war schon immer so. Darum gehörte zur notwendigen Grundausstattung eines erfolgreichen Zehnkämpfers auch schon immer die Fähigkeit, sich selbst zu beobachten und die eigene Belastbarkeit einzuschätzen. Wann ist es an der Zeit, sich zu regenerieren?

Nur: Wer kann sich das heutzutage noch leisten? Wenn sogar ein Nachwuchstalent wie Sabine Brauns Trainingspartner Robert Jung keine Zeit mehr hat, eine kleinere Muskelmalaise auszukurieren, und zur Spritze greifen muß. Übrigens ohne Wissen des deutschen Zehnkampftrainers Claus Marek. Wer auch immer dahintersteckt, sein eigener Ehrgeiz oder der von Privattrainerin Gertrud Schäfer: Die Strafe folgte auf dem Fuße. Nach 80 Metern der ersten Disziplin war schon Feierabend für den – wie man meinen sollte – eigentlich noch belastbaren Jung.

Anders herum: Wie lange kann der filigrane und damit verletzungsanfällige Frank Busemann von seiner Silbermedaille in Atlanta noch zehren? Die EM naht. Und da ist es Zeit, sich wieder ins Gespräch zu bringen. Busemann muß ran, ob sein Rücken will oder nicht. Sponsoren und TV-Stationen interessieren sich nicht sehr für Prominenz von gestern. Zehnkampf-Bundestrainer Marek kann sich erinnern: „Ein Guido Kratschmer konnte auch einmal 300 Punkte weniger machen. Das ist in der heutigen Leistungsgesellschaft nur noch schwer möglich. Paul Meier ist daran kaputtgegangen.“ Der ehemals fröhliche Paule hat mittlerweile fünf Operationen hinter sich und verbringt die Tage statt in Vorarlberg auf Lanzarote. Um sich zu schonen, vermutlich.

Für seine noch aktiven Kollegen werden die Schonzeiten zukünftig dank des mit dem Meeting in Götzis gestarteten „IAAF World Combined Events Challenge“ wohl sogar noch deutlich kürzer.

Wer an dem 100.000-Dollar- Fleischtopf des neu geschaffenen Grand Prix partizipieren will, muß neben Götzis auch in Talence/ FRA dabeisein und bei mindestens zwei Großereignissen – Olympische Spiele, Weltmeisterschaften, Kontinentalmeisterschaften – starten. Dazu kommen für manche noch die nationalen Ausscheidungen. Das sind zwischen drei und sechs Zehnkämpfe pro Jahr auf höchstem Niveau. Weniger können sich ambitionierte MehrkämpferInnen kaum erlauben, denn nur die besten drei Ergebnisse werden gewertet.

Wer die 30.000 Dollar Siegprämie will, muß ran. Gesundheit hin, Vernunft her. Die Spitzenleute können sich auf einiges gefaßt machen. Auch Erki Nool. Das Akustik-Doping seines Fan-Klubs dürfte er in Zukunft jedenfalls nötiger haben denn jemals zuvor.