Weiterkämpfen mit den Waffen des Friedens

■ Bei einem Kongreß in Osnabrück hat sich die europäische Friedensbewegung wieder zusammengerauft. Resolution gegen Atomtests in Indien und Pakistan verabschiedet

Osnabrück (taz) – Eine Szene der Eröffnungsveranstaltung hat sich eingeprägt: Da steht Uri Avnery am Rednerpult und spricht über Friedenspolitik. Plötzlich unterbricht ihn ein Aufschrei aus der vierten Reihe. „Nein“, ruft ein alter Mann aufgebracht, „falsche Ratio; hack deine Hand ab, aber verweigere!“

750 Augenpaare richten sich auf den Zwischenrufer und dann wieder auf Uri Avnery. Der israelische Friedenspreisträger hatte soeben erläutert, welche Gründe unter Umständen für den Kriegsdienst sprechen könnten. Jetzt ist er sichtlich irritiert, ja, getroffen von der Heftigkeit in der Stimme des Zwischenrufers. Eine Pause entsteht. „Ich verstehe Sie“, sagt Uri Avnery dann ernst, und „lassen Sie uns diesen Pathos als Grundlage für unseren Kongreß nehmen.“

Das ist der Europäische Friedenskongreß zu Pfingsten in Osnabrück. Anlaß ist der 350. Jahrestag des Westfälischen Friedens, der in Osnabrück das Ende des Dreißigjährigen Krieges besiegelte und damit einen Grundstein für den modernen Pazifismus legte. Anlaß ist auch die Tatsache, daß es im ausgehenden 20. Jahrhundert noch immer 40 Kriege auf der Welt gibt und Friedensbewegte in aller Herren Länder nach wie vor an eine Welt ohne Krieg und Militarismus glauben. Also haben sich 750 Menschen aus 30 europäischen Staaten in Osnabrück versammelt, um zu demonstrieren, daß die Friedensbewegung noch am Leben ist.

Groß in Erscheinung getreten ist die Friedensbewegung zuletzt bei den Demonstrationen gegen den Golfkrieg. Das war Anfang der 90er Jahre. Seither habe man sich in gesellschaftliche Nischen zurückgezogen, sagt der friedensbewegte Professor Mohssen Masserrat aus Osnabrück. Auf dem Friedenskongreß wolle man die Kräfte der 47 vertretenen Organisationen bündeln, um der Friedensbewegung wieder politisches Gewicht zu verschaffen.

An diesem Pfingstwochenende finden die Friedensbewegten tatsächlich zusammen. An allen Ecken und Enden wird diskutiert, über Kriegsdienstverweigerung, Abrüstung und zivile Konfliktlösung. Den aktuellen Anlaß liefern die Atomtests in Indien und Pakistan, die von den Kongreßteilnehmern einhellig verurteilt werden. Ihre Resolution gegen Atomtests richtet sich zum Abschluß des Kongresses an alle Atommächte.

Die Friedensbewegung lebt also, scheint aber realistischer geworden zu sein. Allen voran der 75jährige Uri Avnery, der Kriegsdienst in seiner Eröffnungsrede als Gewissensentscheidung eines jeden einzelnen bezeichnet. „Warum war die Welt so überrascht?“ sagt er zum Balkankrieg und angesichts des sich anbahnenden Bürgerkriegs im Kosovo: „Wir wissen doch, was passieren wird, und sind machtlos, es zu verhindern.“ Waffengewalt sei unvermeidlich, wenn die Weisheit der Friedenskämpfer versage – Uri Avnerys Botschaft erntet bei der Mehrzahl der Kongreßteilnehmer Applaus. Sein Plädoyer für zivile Methoden der Konfliktlösung zieht sich alsdann wie ein roter Faden durch den Kongreß.

An dem Faden strickt auch der 33jährige Student Denis Dressel mit. Er ist aus Berlin angereist, vor allem, um den Friedensforscher Johan Galtung endlich mal persönlich zu erleben. Galtung hat aber kurzfristig abgesagt, und Denis ist ein bißchen enttäuscht. „Das ist kein Arbeitskongreß, man kommt hier nicht richtig zum Diskutieren“, sagt er, eben aus einer Arbeitsgruppe kommend, wo sich 50 Leute mit ziviler Konfliktbearbeitung auseinandersetzen sollten.

Im März ist Denis aus Südafrika zurückgekehrt. Ein halbes Jahr hat er dort bei einem Studienprojekt des „Centre for Conflict Resolution“ in Kapstadt mitgearbeitet. Die Methode „Mediation“, also konstruktive Vermittlung zwischen zwei Konfliktparteien, habe dort im Vordergrund gestanden. „Das hat wirklich funktioniert“, sagt Denis. Mediation, so meint er, sei eine Lösungsalternative für viele Konfliktarten und müsse deshalb gesetzlich vorgeschrieben sein.

Damit spricht er den Veranstaltern des Friedenskongresses aus der Seele, nicht zuletzt Mohssen Masserrat, der zur Repolitisierung der Friedensbewegung schon praktische Handlungsvorschläge in der Tasche hat. In Osnabrück will er die Militärgarnison der Engländer in eine internationale Friedensuniversität verwandeln. Und als Pendant zum UN-Sicherheitsrat soll ein ziviler UN-Friedensrat gegründet werden. Nach dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“ schlägt er den Kongreßteilnehmern gemeinsame Kampagnen vor, zum Recht auf Verweigerung der Rüstungssteuer oder zum Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung.

Auf gegenseitige Unterstützung der Friedensbewegten baut auch Uri Avnery – und auf einen leidenschaftlichen Kampf „mit den Waffen des Friedens“. Seine Eröffnungsansprache mündet denn auch in einen leidenschaftlichen Aufruf an die Kongreßteilnehmer, sich mit den Friedensbewegten in Israel zu solidarisieren. „Wenn Tausende nach Jerusalem kommen und gegen die israelische Siedlungspolitik demonstrieren, können wir etwas erreichen – Verweigerung ist gut, Verhinderung ist besser.“ Am Ende hat er auch den Zwischenrufer auf seiner Seite: Der alte Mann aus der vierten Reihe applaudiert. Heike Spannagel