■ Berlin: Vertreter von SPD und CDU wetteifern in Sachen Rassimus
: Eine radikale Umkehr ist erforderlich

Rechtzeitig zum großen multikulturellen Karneval in Berlin bekommen wir die blecherne Begleitmusik dazu aus der Großen Koalition. Vor einer Woche noch meinte der SPD-Innenexperte und Anwärter auf den Landesparteivorsitz, Hans-Georg Lorenz, die Ausländerpolitik sei Berlin „total entglitten“, wir sollten nicht versuchen, „aus Kreuzberg Klein-Istanbul zu machen“, und die „Hintertreppen-Hodschas“ seien ein „bedrohliches Potential“. Warum nur poltert Lorenz nicht auch gegen ein Klein-Warschau, Klein-Moskau und Klein-Jerusalem?

Bei so viel unwidersprochener Hetze seitens der SPD konnte Berlins Innensenator Schönbohm (CDU) nicht hintanstehen. So forderte er gestern, wir dürften keine „multikulturelle Gesellschaft entwickeln“; wir seien kein Einwanderungsland; „Quartiere“ gäbe es in Berlin, von denen „man sagen kann: dort befindet man sich nicht in Deutschland“; keinen islamischen Religionsunterricht will er an den Schulen, unseres „christlich-abendländischen Erbes“ wegen. Und er arbeitet an einer Neuregulierung der unbefristeten Aufenthaltsgenehmigungen über schärfere Sprachprüfungen. Vielleicht also bald keine Dönerbude ohne Germanistikstudium mehr.

Wo bleibt der Aufschrei gegen diese hochoffizielle ausländerfeindliche Hetze? Das rassistische Gerede und die Phrasen vom „christlich-abendländischen Erbe“, das angeblich verteidigt werden muß, sind nicht allein das Credo der Großen Koalition in Berlin; vielmehr ist es lange schon die Große Koalition aus beträchtlichen Teilen der deutschen politischen Klasse und den Neonazis und totschlagenden Skinheads. Die Kampagne gegen eine angeblich durchraßte und durchmischte Gesellschaft wird zunehmend hingenommen, die Lichterketten sind längst verschwunden, und hilflos sehen wir zu, wie Holocaust- Mahnmale regelmäßig geschändet werden und das Betreten großer Teile dieses Landes mit seinen ausländerbefreiten Zonen für Nichtweiße zum tödlichen Leichtsinn geworden ist. Derlei war ja selbst in der frühen Nazizeit noch undenkbar.

Ein radikales Umdenken ist gefordert, das diesem hochoffiziellen ausländerfeindlichen Gerede entgegentritt, mit massiven antirassistischen Kampagnen vor allem auch seitens der Kirchen und der Parteien. Und nicht nur in Berlin und Frankfurt, sondern auch in kleineren Städte. Wo bleibt zum Beispiel unser Präsident Herzog mit seinen Reden zu einem Ruck durch das Land? Michal Bodemann

Der Autor ist Professor der Sozialwissenschaften in Toronto