Landgericht: Nazi-Opfer aus Osteuropa müssen individuell entschädigt werden

■ Als KZ-Häftling mußte eine Jüdin aus Rumänien Bombenschutt wegräumen. Jetzt erhielt sie Schmerzensgeld und Lohn für Zwangsarbeit

Bremen (taz) – Die Bundesrepublik muß Verfolgte des Naziregimes auch individuell und ohne Umweg über eine zwischenstaatliche Regelung entschädigen. Das hat das Landgericht Bremen gestern im Fall einer Jüdin aus Rumänien entschieden und der Frau 15.000 Mark als Schmerzensgeld und als Lohn für geleistete Zwangsarbeit zugesprochen (AZ: 1-O-2889/90). Die Klägerin hatte bisher noch keinerlei Wiedergutmachungsleistungen erhalten, auch weil es zwischen Deutschland und den Staaten Osteuropas keine Entschädigungsabkommen gibt.

Wie viele betagte Nazi-Opfer aus Osteuropa nun dem Beispiel folgen können, ist unklar. Es wird aber erwartet, daß die Bundesregierung Berufung gegen das Urteil einlegt. Gleichzeitig wies das Bremer Gericht die Forderungen von zwei anderen ehemaligen jüdischen Zwangsarbeiterinnen nach Lohn für geleistete Zwangsarbeit zurück. Beide Frauen hatten – wie die Rumänin – zwischen August 1944 und April 1945 in der zerbombten Stadt Bremen Trümmer weggeschafft und Behelfswohnungen errichtet. Der Bremer Bausenator hatte zu diesem Zweck 800 weibliche Häftlinge aus dem KZ Auschwitz angefordert und zahlte pro Frau und Arbeitstag vier Reichsmark an die SS. Für diese Arbeit fordern die Frauen nun den entgangenen Lohn, den ihre Verteidiger nach heutigem Wert auf jeweils 40.000 Mark ansetzen.

Weil sie aber als Israelin beziehungsweise deutsche Staatsangehörige bereits auf Grundlage des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) eine Rente erhalten, wurde ihre Klage abgewiesen. Die Richter verwiesen in der mündlichen Begründung des Urteils auf das BEG: Darin sei geregelt, daß bei geleisteter Zwangsarbeit die Entlohnung durch das Schmerzensgeld für den erlittenen Freiheitsentzug abgegolten sei. Gegen diese Entscheidung hat der Bremer Vertreter des Auschwitz-Komitees, Klaus von Münchhausen, Berufung angekündigt. Die Vertreter der Klägerinnen verweisen auf den Unterschied zwischen Schmerzensgeld und dem entgangenen Lohn für geleistete Arbeit. Im Falle der Rumänin haben die Bremer Richter diese Unterscheidung in ihre Begründung mit einbezogen. Die ihr zugesprochene Summe von 15.000 Mark setzt sich aus Lohn und Entschädigungsleistung zusammen. Für die geleistete Arbeit seien seinerzeit 60 Reichsmark pro Woche eine übliche Bezahlung gewesen. Angepaßt an den aktuellen Kaufkraftindex kämen für die 38 Wochen Zwangsarbeit gut 10.000 Mark zusammen. Darüber bestehe Anspruch auf Schmerzensgeld. Der Betrag von knapp 5.000 Mark sei dabei „so gering, daß er außerhalb jeder Diskussion steht“, so der Richter.

Die Bremer Zivilkammer hielt sich mit ihrem Spruch weitgehend an ein Urteil des Landgerichts Bonn vom November 1997. Auch dort wiesen die Richter die nachträglichen Lohnforderungen von 21 Klägerinnen ab, die für eine Rüstungsfirma Zwangsarbeit leisten mußten. Nur eine Frau, die ebenfalls noch keinerlei Entschädigung erhalten hatte, bekam 15.000 Mark zugesprochen. 1996 hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß seit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den beiden deutschen Staaten und den Alliierten völkerrechtliche Verträge eine individuelle Entschädigung nicht ausschließen. Joachim Fahrun