Frühling in Indonesien

Nach dem Rücktritt von Präsident Suharto werden neue Parteien gegründet und neue Allianzen geschmiedet. Die Reformbewegung hat aber kein gemeinsames Konzept. Über den weiteren Weg in Indonesien entscheiden vor allem die islamischen Organisationen  ■ Aus Jakarta Jutta Lietsch

Ein Treffen Ehemaliger in einem Hinterhofcafé an der Utan-Kayu-Straße von Jakarta: Eine Woche nach dem Rücktritt von Präsident Suharto versammeln sich an diesem Abend frühere MitarbeiterInnen des 1994 verbotenen Wochenmagazins Tempo. Eingeladen hat der bekannte Oppositionelle Goenawan Mohamad. Er war Chefredakteur, als sich das Blatt den Zorn Suhartos und seines Technologieministers B.J. Habibie zuzog, weil es zu bissig über den von Habibie eingefädelten Kauf von 39 alten DDR-Kriegsschiffen für die indonesische Marine berichtete.

„Wir wollen überlegen, wie wir auf die neue Situation reagieren“, sagt Leila Chudori, heute Reporterin bei der Zeitschrift D&R, die sich kürzlich von Detektif& Romantika in Demokrasi& Reformasi umbenannt hat. „Was sollen wir tun, falls wir die Lizenz zurückerhalten? Wollen wir Tempo überhaupt wiederbeleben?“ Ihr ehemaliger Chef Goenawan allerdings will nicht nur darüber sprechen, ob die Zeitschrift noch einmal erscheinen soll. Zunächst einmal gehe es darum, sich dafür einzusetzen, daß die repressiven Pressegesetze abgeschafft und neue demokratische Institutionen geschaffen werden, argumentiert er.

Die Debatte ist symptomatisch für die erstaunliche Entwicklung, auf die Indonesiens Opposition plötzlich reagieren muß. Kaum hat der 76jährige Suharto sein Amt an den Freund und Vizepräsidenten Habibie übergeben, scheint der Frühling der Demokratie ausgebrochen. Zum ersten Mal diskutieren Minister offen mit bekannten Regierungskritikern über die Zukunft des Landes. Gefängnistore öffnen sich für prominente politische Häftlinge, der Justizminister verspricht unabhängige Gerichte, die Zeitungen schreiben offen wie nie zuvor. „Wir müssen die Chance nützen“, fordert Emmy Haffild, Chefin der größten indonesischen Umweltorganisation Walhi: Jetzt komme es darauf an, die Reformen so schnell weiterzutreiben, daß niemand sie mehr zurückdrehen kann. Doch nach 32 Jahren unter dem Suharto-Regime ist die indonesische Opposition zersplittert.

Die aus zahlreichen Gruppen und politischen EinzelkämpferInnen bestehende Reformbewegung war sich vor Suhartos überraschendem Rücktritt zwar einig, den Diktator loszuwerden. Ein gemeinsames Programm für die Zeit danach existierte aber nicht. In den letzten Tagen entstanden mehrere Allianzen, in denen sich bekannte Köpfe der alten Opposition zusammenfanden. Amien Rais, der Vorsitzende der muslimischen Muhammadiya-Gemeinschaft (etwa 25 Millionen Mitglieder), gründete zum Beispiel zusammen mit Goenawan und rund vierzig anderen Persönlichkeiten – Ex-Ministern, kritischen Altgenerälen, Universitätsdozenten, Religionsgelehrten – einen „Volksrat“ (MAR). In einer anderen Gruppierung, dem „Indonesischen Arbeitsforum“, sitzen unter anderem Abdurrahman Wahid, der Chef der muslimischen „Gemeinschaft der Rechtsgelehrten“ mit über 30 Millionen Mitgliedern, und Umweltschützerin Emmy Haffild. Als riesige Enttäuschung für viele Oppositionelle entpuppte sich die von Suhartos Militärs 1996 als Chefin der Demokratischen Partei Indonesiens (PDI) gestürzte Megawati Sukarnoputri. Sie erwies sich nicht, wie erhofft, als charismatische Politikerin, die während der Unruhen die Regierungsgegner unterstützt hätte. Die Tochter von Staatsgründer Sukarno ließ sich nicht blicken, als die Studenten im Parlament demonstrierten. Als ein Kamerateam sie beim Einkaufen traf, flüchtete sie in ein Restaurant. „Sie wartet wohl, bis das Volk zu ihr kommt und sie bittet, Präsidentin zu werden“, kommentiert ein früherer Anhänger erbittert. Aktiver ist der gerade amnestierte Ex-Häftling Sri Bintang Pamungkas, den die Richter zu 34 Monaten Gefängnis verurteilten, weil er Suharto angeblich einen „Diktator“ genannt hatte.

Kaum in Freiheit, eilt der Wirtschaftsdozent und Ex-Parlamentsabgeordnete bereits unermüdlich durch die Universitäten, um für seine Indonesische Demokratische Unionspartei (PUDI) zu werben und „totale Reformen“ zu fordern. Seine PUDI habe schon in zahlreichen Städten Ortsverbände gebildet, versichert er.

Unter Suharto waren seit 1973 nur drei Parteien zugelassen: die regierende Golkar-Bewegung – für die alle Beamten stimmen mußten und deren Sieg stets garantiert war – und zwei kleinere Gruppierungen. Jetzt sprießen plötzlich überall neue Parteien hervor, mehr als ein halbes Dutzend waren es allein in der vergangenen Woche – darunter eine Arbeiterpartei, eine Frauenpartei, eine Partei chinesischstämmiger Geschäftsleute und eine Partei muslimischer Intellektueller. Längst hat auch die Golkar Risse bekommen. Mitglieder, die Suharto noch im März widerspruchslos ein siebtes Mal zum Präsidenten wählten, geben mit erhobener Faust die Gründung einer eigenen Organisation bekannt. Begründung: So könnten sie besser an den Reformen mitwirken.

Die wichtigsten neuen politischen Gruppen entstehen aus den muslimischen Organisationen. 87 Prozent der Bevölkerung Indonesiens sind Muslime. Geistliche in den Moscheen fordern schon lange, daß die Regierung wie in Malaysia die Muslime bevorzugen solle, um die Kluft zwischen ihnen und der reicheren chinesischen Minderheit zu verringern. Solche Forderungen finden angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage immer mehr Anhänger. Der Weg in einen islamischen Staat ist allerdings nicht vorgezeichnet. Zu unterschiedlich, und zum Teil auch seit Jahrzehnten zerstritten, sind die großen Organisationen und ihre Führer.

Wahids Gemeinschaft der Rechtsgelehrten hat ihre Basis vor allem auf dem Land, in den muslimischen Internaten und bei den dörflichen Religionslehrern. Die Organisation debattiert nun, ob sie sich wieder, wie vor 1984, in eine politische Partei verwandeln will. Amien Rais' Muhammadiya dagegen stützt sich stark auf die städtischen Muslime, die einen strengeren Islam fordern. Nicht nur die christlichen oder hinduistischen Minderheiten, sondern auch viele Muslime, in deren Glauben sich vielfach traditionelle Volksbräuche und Geistervorstellungen mischen, stehen Rais daher mißtrauisch gegenüber.

Im Militär, unter konservativen Politikern und Universitätsdozenten werden bereits Stimmen laut, die vor „Anarchie“ warnen. Sie erinnern an die kurze Erfahrung Indonesiens mit der Demokratie, als in den fünfziger Jahren in einer chaotischen politischen Szenerie Dutzende Parteien um die Wähler stritten. Und sie fürchten das Gespenst das Kommunismus: Die Linke, so die Propaganda Suhartos, sei schuld an den Unruhen in den sechziger Jahren und habe gegen Staatschef Sukarno geputscht – eine halbe Million Menschen verloren damals ihr Leben. Seither sitzen vermeintliche Kommunisten im Gefängnis. Regierungsgegner, wie die linke PRD, gelten bis heute als „subversive Elemente“.

Innenminister Syarwan Hamid hat erklärt, die Regierung werde alle Parteien akzeptieren, die sich an die Staatsdoktrin „Pancasila“ halten, die nationale Einheit, Achtung der fünf anerkannten Religionen und soziale Harmonie vorschreibt. Außerdem dürften sie niemanden wegen seiner Stammeszugehörigkeit oder sozialen Stellung benachteiligen. Eine „natürliche Auslese“ werde schon dafür sorgen, daß eine überschaubare Zahl der Parteien übrigbleibe.