„Der schönste Fußball der Welt“

Schwarze Fußballer wurden auch in Brasilien lange diskriminiert, doch heute schert sich niemand mehr um Ronaldos Hautfarbe. Geblieben sind Knebelverträge und dürftige Gehälter  ■ Von Ole Schulz

„Seit Jahrhunderten“, so schrieb der vor den Nazis nach Brasilien geflohene Stefan Zweig begeistert, beruhe die Gesellschaft seines Gastlandes „einzig auf dem Prinzip der freien und ungehemmten Durchmischung, der völligen Gleichstellung von Schwarz und Weiß und Braun und Gelb“. Diese „miscigenação“ pries der Schriftsteller als Gegenmodell zum Rassenwahn in seiner Heimat an. Eine etwas optimistische Einschätzung, wie sich auch im Bereich des Fußballs leicht feststellen läßt.

Rio de Janeiros Stadtmeisterschaft begann 1923 mit einem Skandal: Zum Eröffnungsspiel liefen in der Mannschaft Vasco da Gama neben acht Weißen auch zwei Mulatten und ein Schwarzer auf den Rasen. Zudem kamen die Spieler überwiegend aus der Zona Norte, Rios industrieller Peripherie. Ganz gleich welcher Hautfarbe, gemeinsam war ihnen, daß sie „kaum wußten, wie ihre Namen zu schreiben waren“, notierte die Presse pikiert. Schwarze könnten so gut Fußball spielen, weil sie gewohnt seien, vor den Löwen aus dem Dschungel zu fliehen, lautete seinerzeit ein abschätziger Witz.

„Der schönste Fußball der Welt“ wurde geboren, schreibt dagegen der uruguayische Autor Eduardo Galeano, „aus dem Schwingen des ganzen Körpers, den fliegenden Beinen, die von der Çapoeira herkamen“, einem Kriegstanz, den aus Angola verschleppte Sklaven in Brasilien eingeführt hatten. Bis dahin war Fußball ein elitärer Minderheitensport gewesen, doch für Vasco brachte die erweiterte Auswahl der Spieler den Durchbruch. Der Klub, der damals zum ersten Mal Rios Titel gewann, gilt bis heute als ein Verein des Volkes. Im Stadion Vascos könne man als Schwarzer sicher sein, „niemals diskriminiert zu werden“, sagte der umstrittene Vereinspatriarch und Bundestagsabgeordnete Eurico Miranda („Jeder weiß, daß ich für Vasco durch die Hölle gehe“) nach dem Gewinn der brasilianischen Meisterschaft im Dezember vergangenen Jahres.

Fußballer wie der kaffeebraune Arthur Friedenreich („O Pé de Ouro“ – der Fuß aus Gold), Sohn eines deutsch-brasilianischen Kaufmanns und einer „fast schwarzen“ Mutter, wurden in den 20er Jahren die ersten Fußballhelden des Landes. Trotzdem blieb in der Nationalmannschaft die Hautfarbe ein brisantes Thema. Noch 1950, als die WM im eigenen Lande ausgetragen wurde und Brasilien überraschend im Endspiel vor 200.000 Zuschauern im Maracaná-Stadion gegen Uruguay verlor, wurde ein dunkelhäutiger Spieler zum Sündenbock gemacht: Dem Torhüter Barbosa war ein haltbarer Schuß zum entscheidenden 1:2 durch die Arme geglitten. Weltmeister wurde Brasilien erst acht Jahre später in Schweden – dank zweier schwarzer Spieler: einem 17jährigen Wunderknaben namens Pelé und dem begnadeten Hakenschläger Garrincha.

Heute interessiert es auch in Brasilien kaum einen mehr, welche Hautfarbe Ronaldo, Denilson oder der ebenso populäre wie reizbare Stürmer Edmundo, der Vasco zum Titel schoß, haben. Eher mokiert man sich darüber, daß dunkelhäutige Brasilianer allein im Showgeschäft und im Sport zu Geld und Ansehen gelangen könnten. Brasilien ist inzwischen ein „braunes“ Land geworden, und fast alle Brasilianer haben einen dunklen Teint. Geld sei der große Weißmacher, und Angaben zur eigenen Hautfarbe verrieten meist mehr über den sozialen Status des Befragten als über seine wirkliche Herkunft, amüsieren sich brasilianische Soziologen.

Dennoch gibt es auch in Brasilien latenten Rassismus. Er zeigt sich weniger im alltäglichen Umgang der Menschen miteinander, der recht locker ist, als vielmehr in ungleichen Chancen und getrennten Lebenswelten. Dies gilt auch für den Fußball, wo es sich kein anderer als Pelé zum Ziel gesetzt hat, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Zu Beginn seiner Karriere wollte er nicht bei den großen Klubs Palmeiras oder Corinthians aus São Paulo spielen, weil er sich als Schwarzer zu schlecht behandelt fühlte, und landete beim kleinen Vorortclub FC Santos. Im letzten Jahr brachte er als Sportminister der Regierung Cardoso ein Gesetzespaket auf den Weg, das vieles ändern könnte: Nun müssen sich die Vereine, die bisher nicht einmal Steuern zahlen, bis 1999 in Unternehmen umwandeln. Vor allem aber sollen die Rechte der Spieler verbessert werden. Bis in die jüngste Vergangenheit waren viele Kicker durch Knebelverträge zu einem Hungerlohn an den Verein gebunden, der ihren Spielerpaß erworben hatte. Jetzt dürfen sie nach Vertragsablauf ihren neuen Arbeitgeber selbst aussuchen.

Den Anfang machte einmal mehr Vasco da Gama. Dabei gehört der starke Mann des Vereins, Eurico Miranda, neben Fifa-Präsident João Havelange und dessen Schwiegersohn Ricardo Teixeira, den Havelange auf den Posten des Verbandspräsidenten hievte, zu den schärfsten Gegnern Pelés. Vasco deponierte bereits das notwendige Startkapital und ist damit der erste Traditionsverein, der sich in eine Firma umwandelt. Wie genau die Gesetzesvorlage in anderen Punkten umgesetzt wird, ist jedoch unklar, zumal Pelé Mitte April von seinem Amt als Minister zurücktrat – mindestens bis zu den Präsidentschaftswahlen im Oktober.

Der Fußball spiegelt heute nicht mehr das gespaltene Verhältnis der Brasilianer zu dem Erbe, das ihnen die Sklavenzeit hinterlassen hat – dafür aber die Klassenstrukturen in der brasilianischen Gesellschaft. Die hohen Einkommen einiger Stars, vor allem der altgewordenen Heimkehrer wie Romário und Bebeto, stehen im krassen Kontrast zu den dürftigen Gehältern der überwiegenden Mehrheit. Sogar in der Mannschaft des Meisters Vasco da Gama gibt es Spieler, die nicht mehr als umgerechnet tausend US-Dollar verdienen. Wie Romário den Sprung aus Rios Elendsviertel Jacarezinho zum Weltstar zu schaffen, wird für Kinder aus armen Verhältnissen immer schwerer. Vielerorts sind spontane Fußballspiele nicht mehr möglich, weil „die Städte so schnell gewachsen sind, daß es keinen Platz zum Fußballspielen mehr gibt“, beklagt Rekordnationalspieler Rivelino. Und Kinder aus den „Favelas“ haben heute, wo der Fußball immer athletischer wird, aufgrund der Unterernährung schon körperlich Probleme, mitzuhalten.