Wer sich fahren läßt, schafft Arbeit

Studie von Öko-Institut und VCD: Der Umstieg auf umweltfreundlicheren Verkehr könnte zwar 130.000 Stellen in der Automobilindustrie kosten, aber 330.000 neue im öffentlichen Nahverkehr entstehen lassen  ■ Von Danièle Weber

Stuttgart (taz) – Mehr als 200.000 zusätzliche Arbeitsplätze könnte es in Deutschland geben, wenn die Menschen sich umweltfreundlicher fortbewegen würden. Zu diesem Ergebnis kommen Öko-Institut und Verkehrsclub Deutschland (VCD) in ihrer Studie „Hauptgewinn Zukunft – Neue Arbeitsplätze durch umweltverträglichen Verkehr“, die sie gestern in Bonn vorstellten. „Statt um Verzicht geht es um Effizienz“, erklärte VCD-Geschäftsführerin Sonja Kirchberg. „Mobilität soll nicht eingeschränkt, sondern intelligenter organisiert werden.“

Die Studie vergleicht zwei Möglichkeiten, wie sich der Verkehr bis zum Jahr 2010 entwickeln könnte: Das „Trend-Szenario“ geht davon aus, daß sich an der bestehenden Verkehrspolitik wenig ändert, während das „Move-Modell“ Maßnahmen durchspielt, die VCD und Öko-Institut seit Jahren fordern. Dazu gehören ein Ausbau des öffentlichen Verkehrs, intensive Informationsarbeit bei den VerkehrsteilnehmerInnen und die Einführung des Drei-Liter-Autos.

Konkret setzt Move voraus, daß Deutsche im Jahr durchschnittlich 1.500 Kilometer mit der Bahn und 600 Kilometer per Fahrrad zurücklegen werden – mehr als doppelt soviel wie heute. „Das ist die Situation, wie wir sie in der Schweiz und den Niederlanden erreicht haben“, sagt Sonja Kirchberg.

Zur Finanzierung der Maßnahmen schlagen die AutorInnen unter anderem die Einführung einer „maßvollen Kerosinsteuer“ und eine „schrittweise Erhöhung der Mineralölsteuer“ vor. Das können wir uns zur Zeit nicht leisten, meint unter anderem die Automobilindustrie. Perspektiven von fünf Mark pro Liter Benzin seien „Arbeitsplatz-Vernichtungsprogramme in Reinkultur“ hatte der Verband der Automobilindustrie (VDA) noch im Januar verkündet.

„Unsere Studie beweist das Gegenteil“, erklärt Öko-Institut-Mitarbeiter Martin Cames. Cames ging unter anderem der Frage nach: Wieviel Arbeitsplätze kostet es, wenn weniger mit dem Auto, wie viele Jobs bringt es, wenn mehr mit der Bahn gefahren wird? Er verglich in einem Input-Output- Modell direkte und indirekte Effekte der beiden Modelle für Nachfrage und Beschäftigung. Fazit: Zwar wird sich die Zahl der Beschäftigten in den verschiedenen Branchen verschieben, unterm Strich bringt die Verkehrswende jedoch deutlich mehr Jobs als der bisher eingeschlagene Kurs in der Verkehrspolitik. Laut Berechnungen des Öko-Instituts würde das Move-Szenario 338.000 neue Arbeitsplätze schaffen, dagegen etwa 130.000 Jobs, hauptsächlich in der Automobil- und Zulieferindustrie, vernichten.

Im neuen Modell bleibt der Pkw zwar das meistgenutzte Verkehrsmittel, die Gesamtflotte verringert sich jedoch im Vergleich zum Trend-Szenario um 20 Prozent. Diesen verlorenen Arbeitsplätzen steht eine erhöhte Nachfrage im öffentlichen Verkehr gegenüber: Wer selbst fährt, leistet unbezahlte Arbeit; wer sich fahren läßt, schafft Arbeitsplätze. Das Move-Szenario würde rund 38.000 neue Busse und 5.000 Bahnen erfordern. Und neben zusätzlicher Beschäftigung gewinnt vor allem die Umwelt. Für Kohlendioxid-Emissionen errechneten die WissenschaftlerInnen eine Reduktion von 30 Prozent: „Die Studie ist keine Vorhersage“, sagt Martin Cames, „wir zeigen auf, was grundsätzlich machbar ist.“