„Ich war nie politisch, sondern nur für den Sport“

■ Der SC Sperber wird hundert Jahre alt: Ein Aktiver erinnert sich an bessere Zeiten

Der SC Sperber feiert an diesem Wochenende sein hundertjähriges Jubiläum. Erwin Ude dagegen ist erst 89. Aber der rüstige Rentner, der 1917 seine Laufbahn beim Jubiläumsverein startete, ist ein Zeitzeuge des ausklingenden Jahrhunderts. Er weiß von Zeiten zu berichten, an die sich heute kaum mehr jemand erinnert: „Eines meiner schönsten Erlebnisse war der Länderkampf zwischen Deutschland und Norwegen 1927 im Volksparkstadion.“ Ude bestritt damals als 19jähriger das Vorspiel in der Jugendauswahl Hamburgs gegen die besten Jugendlichen Altonas.

Später wurde Hannover 96 auf den jungen Torjäger Ude aufmerksam. Drei Mark erhielt der „gude Ude“, wie er damals tituliert wurde, vom damaligen norddeutschen Spitzenklub. Reminiszenz an seine alte Heimat: Er fuhr zeitweilig von Hamburg nach Hannover mit dem Fahrrad, kam abends dreckig, verschwitzt, aber glücklich ob seiner vielen Tore in die Hansestadt zurück.

Die schoß der Sturmwirbel in der Oberliga im Gau Nordmark, wo er 1930 mit den Hannoveranern Südbezirksmeister wurde, und im selben Jahr gab es in einem Gruppenspiel um die Norddeutsche Meisterschaft am Rothenbaum eine kleine Sensation. Die Leinestädter schlugen den HSV vor 80.000 Zuschauern mit 1:0 und brachten ihn um die Endrundenteilnahme der Deutschen Meisterschaft. Torschütze: Erwin Ude.

1932 kehrte der Legionär nach einem Intermezzo bei Victoria wieder zu Sperber zurück. „Das hat mich ein Jahr Sperre gekostet“, verflucht der Endachtziger noch heute die Regelung, Spieler, die innerhalb eines Bezirkes wechselten, für ein Jahr aus dem Spielbetrieb auszuschließen. Aber schon in der folgenden Saison erzielte er 48 Tore. Bei der Zeitungsumfrage „Wer ist Groß-Hamburgs bester Mittelstürmer?“ landete er auf dem dritten Platz. Von 1934 bis 1940 reüssierte Ude beim SC Victoria, nachdem ihm eine hohe Ehre nicht vorenthalten wurde. 1938 durfte er an einem Kursus von Sepp Herberger teilnehmen.

Das Ende seiner Karriere kam allerdings unfreiwillig. Von 1941 bis 1945 mußte er für die Faschisten in den Krieg. Zwei Jahre war er in Gefangenschaft. Auch der SC Sperber wurde von den Nazis nicht verschont. Die Vereinsführung sah dem Machtwechsel enthusiastisch entgegen, und 1935 stieg man in die Gauliga auf. In den Kriegswirren fusionierte der Klub mit einigen anderen Mannschaften zur Kriegssportgemeinschaft Alsterdorf, die 1945 wieder aufgelöst wurde. Fortan lief wieder eine reine Sperberelf auf. „Ich war nie politisch, nur für den Sport“, betont Erwin Ude heute. Er wurde zwar von der Partei– angeschrieben, trat jedoch nie ein. Anders zum Beispiel sein Teamkollege bei Victoria und Lagerführer des KZ Ahlem, Tull Harder.

In den 50er Jahren kickte der Namensvetter und zeitweilige Teamkollege von „Vadder“ Seeler noch bei den Altherren von Victoria. Heute lebt der 1973 pensionierte Elektriker zurückgezogen mit seiner Frau, einer ehemaligen Hamburger Spitzenhandballerin, mit der er jüngst eiserne Hochzeit feierte. 1973 feierte Sperber sein 75jähriges Jubiläum. Seitdem geht es steil bergab mit dem einstigen Drittligisten. Die Talfahrt führte von der Verbandsliga in die Kreisliga. Aus dem Sport-Club ist eine quantité negligeable im Hamburger Fußball geworden. So bleiben Udes ganzer Stolz die sorgfältig aufbewahrten Zeitungsartikel aus seiner aktiven Zeit. Nicht nur ein Stück Fußballgeschichte wird darin aufbewahrt, sondern auch ein Stück Vergangenheit. Sein ehemaliger Verein beschäftigt sich hingegen mit der Zukunft. Aber die sieht für den SC Sperber nicht rosig aus.

Martin Sonnleitner