■ Schlüssel zum heiligen Gral der Physik entdeckt
: Sensation in der Teilchenphysik!

Frankfurt/Main (AP) – Eine Gruppe von internationalen Wissenschaftlern hat das Rätsel um die Masse der Neutrinos gelöst. Mit einem gigantischen Detektor in den Tiefen eines alten Zinkbergwerks unter dem japanischen Berg Ikena wiesen die Forscher nach, daß die Geisterteilchen aus dem All ihre Identitäten wechseln können und zu Schwingungen in der Lage sind, was nach physikalischen Überlegungen auch eine Masse im Ruhezustand zur Folge hat. Für Experten ist das die vielleicht wichtigste Entdeckung der Teilchenphysik in diesem Jahrhundert. Das Ergebnis wirkt sich fundamental auf die Theorien vom Universum und der gesamten Physik aus.

Braune Zwerge und Wechselwirkungen

Eine der zentralen Fragen der Astronomie beschäftigt sich mit der sogenannten dunklen Materie im Universum. Demnach macht die sichtbare Masse des Weltalls nur einen Bruchteil der tatsächlichen Masse aus. Nach der Urknalltheorie dehnte sich das All von einem einzigen Punkt aus. Unklar ist, ob es irgendwann aufgrund der Schwerkraft wieder zusammenfällt oder sich unendlich ausdehnt. Eine dritte Möglichkeit wäre, daß sich die Ausdehnung in ferner Zukunft verlangsamt und zum Stillstand kommt. Wichtig ist dafür die Gesamtmasse des Universums. Übersteigt sie einen bestimmten Wert, ist das All also schwer genug, fällt es irgendwann zusammen.

Verschiedene Objekte könnten zur dunklen Materie beitragen. Kleine Sonnen, sogenannte Braune Zwerge, die zuwenig Masse für eine Zündung der Kernreaktion besitzen, oder Antimaterie, die aus Teilchen umgekehrter Ladungen besteht. Sie kann nur isoliert von „echter“ Materie im All vorkommen, da entgegengesetzt geladene Teilchen bei einem Kontakt in einem Energieblitz zerstrahlt werden. Schließlich widmeten sich die Physiker auch den Neutrinos, die im All in unermeßlicher Zahl vorhanden sind und mit Lichtgeschwindigkeit umherrasen.

Neutrinos durchdringen alle Körper ohne Wechselwirkungen, daher sind sie äußerst schwer nachzuweisen. Je nach Art ihrer Entstehung treten sie in drei Formen auf. Die etwa 100 Forscher umfassende Gruppe um John Learned und Yoji Totsuka von den Universitäten in Hawaii und Tokio berichteten am Freitag auf der Konferenz über Neutrinos im japanischen Takayama über ihre zweijährige Arbeit. Weitere Informationen machten die Forscher im Internet zugänglich (http://www.phys.hawaii.edu/).

Sie verwendeten einen 22 Millionen Liter Wasser fassenden Tank, der in dem alten Bergwerk nahe der Stadt Takayama angelegt worden war. Die Abschirmung durch das Gesteinsmassiv ist notwendig, um alle anderen Teilchen und Strahlen fernzuhalten. Rund 12.000 Detektoren registrierten dort die Neutrinos, die in dem ultrareinen Wasser abgebremst werden und dabei eine charakteristische Strahlung aussenden. Aus der Strahlung lassen sich Richtung, Energie und Identität des gemessenen Teilchens berechnen.

Müon-Neutrinos oszillieren

Die Wissenschaftler haben nun eine Anomalie bei Neutrinos schlüssig erklärt, die bereits seit 1985 bekannt ist. Demnach gibt es weniger sogenannte Müon-Neutrinos als erwartet, die aus großen Entfernungen stammen und eine niedrige Energie besitzen. Daraus schließen die Forscher, daß Müon- Neutrinos oszillieren und demnach auch eine Masse besitzen müssen. Der genaue Wert ist noch nicht bekannt, aber er liegt mit Sicherheit um das 20.000fache unter dem eines Elektrons, dem leichtesten der drei Atombausteine.

Da die Neutrinos im Universum aber so zahlreich sind, sind die Wissenschaftler sicher, daß sie einen merklichen Beitrag zur Gesamtmasse liefern – wenn nicht sogar den Löwenanteil. Learned spricht von der wichtigsten Entdeckung der Neutrinoforschung: „Die Ergebnisse könnten der Schlüssel zum heiligen Gral der Physik sein, der großen vereinheitlichten Theorie.“

Die Physiker versuchten bisher vergebens, eine Weltformel zu finden, in der alle Kräfte in einer Gleichung vereinigt sind. Das bisherige Standardmodell, in das alle Elementarteilchen passen, geht von masselosen Neutrinos aus und müßte damit grundlegend überarbeitet werden. Norbert Aschenbrenner