■ Schöner Leben
: Sieben Stunden Treppenhaus

Zum Glück hatte er mir eine Tomate mit auf den Weg gegeben. Und eine Banane und zwei Brote. „Komm gut zurück nach Berlin“, hatte er noch gesagt, mich umarmt und war in die taz-Redaktion gefahren. Hach, dachte ich, könnt' ich doch bei dem schönen Wetter noch hier in Bremen bleiben. Und zog den Koffer unter dem Arm, die Wohnungstür zu. Ging die Treppe zur Haustür hinunter. Drückte die Klinke runter – zu.

Die Tür war zu. Von außen abgeschlossen. Ich lief die Stufen hinauf, schellte bei den Nachbarn im Erdgeschoß – vergeblich. Rannte in den zweiten Stock, klingelte und klingelte – niemand da. Das Haus war um 9 Uhr 30 ausgestorben. Ich schloß die Augen und sah meine Zukunft im Zeitraffer: bis zur Unnkenntlichgkeit zerdehnte Stunden bis ins Irgendwann. In diesem Hausflur. Auf dem braunen Velours dieser Treppe. Unentrinnbar eingeschlossen, der Claustrophoben Albtraum. Ich trat gegen die Wände. Schrie und tobte.

Dann rief ich mich zur Ordnung. Punkt eins: coll bleiben. Punkt zwei: Lösung suchen. Zum Beispiel die Schlösser. Welch vergebliche Maloch, nur mit Schlüssel und Münzen ausgestattet. Zwei zerbrochene Fingernägel später kam die Idee mit der Scheckkarte. Ha, ha, dachte ich, während meine Telefonkarte ziellos im Türschlitz rührte. Fenster waren nicht in Reichweite.

Ich lief die Treppen hinauf. Fit bleiben. Trapp, trapp, hoch. Trapp, trapp, runter. Ich sortierte mein Filofax, plante Termine, grub mich durch Rechercheunterlagen. Es hätte sich ertragen lassen – wären da nicht vier Tassen Kaffee am Morgen gewesen. Plötzlich mußte ich.

Überall Teppichboden. Dann sah ich den Wasserkasten. Die leeren Flaschen mit diesen sich fröhlich verjüngenden Hälsen. Einmal Mann sein. Nie war das Zielen so schwer. Abscheulich.

Danach verlor ich die Kraft. Mein letzter Anker war die Optik. Ein psychologisches Moment, sie in einer solchen Situation nicht zu vernachlässigen. Das Äußere ist Spiegel der Inneren Verfassung. Ich pellte das Equipement aus dem Koffer. Lippenstift auflegen, eine Prise Frische aus dem Deostick, ein Nebel Parfüm obenauf. Diese Griffe wurden zum Ritual. Zur stillen Selbstvergewisserung, daß ich noch bin und Rettung jeden Moment nahen könne.

14 Uhr. Nun sollte die Freundin von meinem taz-Redakteur von der Arbeit kommen. Die Stimmung stieg. Zeit für mein Ritual. 14.15 Uhr. Da wußte ich: Sie kommt nicht. Wie gestern hatte sie sich in den Park gelegt.

Meine letzte Hoffnung: der Briefschlitz. Schon mehrfach hatte ich die Klappe gelupft, Passanten zugerufen. Nur, es ging fast nie jemand vorbei. Oder hastete irritiert von dannen.

Bis er kam. Gegen 16.30 Uhr parkte sein Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Huhu“ rief ich durch meinen Schlitz, steckte den Arm raus und winkte. Er schaute sich irritiert um, „huhu, hier unten, in der Tür“. Und dann ging alles ganz schnell. Der Mann guckte durch den Briefschlitz, ergriffen brachte er mir sein schnurloses Telefon, ich rief meinen taz-Redakteur an, der schwang sich auf sein Fahrrad, in dem Moment kam seine Freundin nach Hause und schon saß ich im Auto Richtung Berlin.

Seitdem ist nichts mehr wie vorher. Haustüren jagen mir Schrecken ein. Ohne Schlüssel übernachte ich nicht mehr bei anderen Leuten. Ein Handy ist immer in der Tasche. Und eine Flasche mit großer Öffnung. Für den Notfall. Anja Dilk