In die Sahara hoch zu Roß

■ „Afrika-Reise“: Ein erst sprödes, dann erfrischendes Buch über den Bremer Sahara-Forscher Gerhard Rohlfs

Ohne die Gerhard-Rohlfs-Straße in Bremen-Nord könnte man Gerhard Rohlfs glatt vergessen. Denn 15 der 17 Verweise, die das taz-Archiv bei der Suche nach „Gerhard und Rohlfs“ auflistet, haben mit der Straße zu tun. Demnach ist die Gerhard-Rohlfs-Straße laut der Polizeimeldungen un- und überfallträchtiger als andere Straßen. Auch im Zusammenhang mit einem Schulstreit in der Ampelkoalition taucht Gerhard Rohlfs über die damals umstrittene Schule an „seiner“ Straße auf. Doch jetzt will das Kulturreferat im Vegesacker Ortsamt dafür sorgen, daß auch mit Rohlfs zu tun hat, wo Rohlfs draufsteht. Denn es hat unter dem Titel „Afrika-Reise“ ein Buch herausgegeben, das statt Unfällen oder Schulstreitereien schlicht das „Leben und Werk des Afrikaforschers Gerhard Rohlfs“ dokumentiert.

Dabei ist das Buch auf den ersten Blick keine leichte Kost. Es beinhaltet ein gutes Dutzend, nur lose strukturierter Aufsätze. Sie fangen mit Sätzen wie „Hier soll seine Reisetätigkeit daraufhin untersucht werden, wie ...“ oder „Wie im Folgenden zu zeigen sein wird“ (aber an dieser Stelle nicht vollständig gezeigt werden kann) an. So schreiben WissenschaftlerInnen. Und so servieren sie ihre Puzzles. Im übertragenen Sinn. Und buchstäblich. Denn schon bei der ersten Lektüre lösen sich die Seiten des Buches clusterweise aus der Leimung. Doch genau das ist dem Inhalt angemessen. Denn im Paperback-Umschlag namens „Afrika-Reise“ verbirgt sich eine durchaus erfrischende Hirnmassage.

Anno 1996 war ein Gerhard-Rohlfs-Jahr. Wer sich an ihn erinnerte, würdigte den einhundertsten Todestag des Forschers aus Bremen-Vegesack. Das Focke-Museum etwa zeigte eine Sammlung antiker Vasen, die kurz vor dem Jahrestag rein zufällig im Rohlfs-Nachlaß im Schloß Schönebeck entdeckt wurden. Und besagtes Kulturreferat im Vegesacker Ortsamt organisierte zusammen mit dem Zentrum für Afrika-Studien an der Bremer Uni ein Gerhard-Rohlfs-Symposion in der vollen Absicht, mit dem Jubilar auch der deutschen, ach, der ganzen europäischen Afrikaforschung kritisch zu Leibe zu rücken. Nicht zur Unterhaltung, aber zur geistigen Erfrischung sind die Beiträge jetzt in dem zur Erosion neigenden Buch veröffentlicht worden.

Der 1831 in Vegesack geborene Gerhard Rohlfs war ein Mensch mit Freiheitsdrang. Schon als 16jähriger Gymnasiast riß er aus und wollte in Rotterdam auf einem Segelschiff anheuern. Seine Mutter konnte ihn zwar zur Rückkehr überreden, doch seine Abenteuerlust konnte sie ihm nicht austreiben. Nach einem ersten Militärdienst begann Rohlfs ein Medizinstudium, brach es aber ab, um sich erneut beim Militär, diesmal den Österreichischen Feldjägern, zu verpflichten. Von dort dersertierte er jedoch vorzeitig, trat nach seiner Flucht in die französische Fremdenlegion ein und kämpfte in Nordafrika und Italien – gegen die Österreicher. Rohlfs verließ auch die Fremdenlegion vorzeitig. In Marokko gab er sich als zum Islam übergetretener Arzt aus und stand ein Jahr lang in den Diensten des Sultans. In den 1860er und 70er Jahren bereiste er mehrfach Nordafrika, durchquerte den Kontinent einmal von Tripolis nach Lagos und gründete auf diesen Reisen seinen Ruf als Afrikaforscher, Geograph und Völkerkundler. Rohlfs starb hoch geehrt und dekoriert 1896 in Godesberg bei Bonn.

Nach einer freilich ausführlicheren Biographie beginnen die AutorInnen des Buches einen Rösselsprung durch den schillernden Lebensweg von Gerhard Rohlfs. In einer schon übermäßigen Betonung des Skizzenhaften verstecken die VölkerkundlerInnen und HistorikerInnen hinter der spröden Form der Aufsätze über den „Entdecker“ ihrerseits Entdeckungen. Wohl nur der Vollständigkeit halber schildert Bettina von Briskorn, warum das Bremer Übersee-Museum keine große Rohlfs-Sammlung besitzt – weil die Vorläufer-Gesellschaften stärker naturkundlich interessiert waren. Weitgehend ein Geheimnis bleibt dagegen, warum ein Kurz-Vergleich von Rohlfs Taten mit denen österreichischer Forscher in den Band aufgenommen wurde.

Da wird Norbert Aas schon deutlicher. Unter dem klaren Titel „Vom hohen Roß“ beschreibt er am Beispiel Rohlfs' das aristokratisch-überhebliche Auftreten vieler Afrika-Forscher. „Was soll man aber eigentlich mit solchen Leuten sprechen, welche an Kenntnis und Urtheil tief unter europäischer Bildung stehen“, zitiert er Rohlfs. Obwohl Aas und andere Autoren Rohlfs durchaus eine gute Beobachtungsgabe bescheinigen, kommt er zum Schluß, daß aus einer solchen Haltung heraus Mißverständnisse unvermeidlich waren und zum Teil bis heute in den Geschichtsbüchern stehen.

Da ist es Zeit für einen Rundumschlag. Für den sorgt vor allem Karam Khella in einer Abrechnung sowohl mit der klassischen europäischen Geschichtswissenschaft als auch mit dem historischen Materialismus. Konsequent aus der Perspektive eines Nicht-Europäers rückt er die Verhältnisse zurecht: Rohlfs und seine Kollegen waren nicht bloß Forscher, sondern zugleich in die koordinierte europäische Eroberung des Maghreb und dann ganz Afrikas verwickelt. Folgerichtig waren die Feindseligkeiten, mit denen die Forscher schon wenige Kilometer hinter der Mittelmeerküste konfrontiert waren, keine dumpfen Attacken dummer Barbaren, sondern resultierten aus einem berechtigten Spionageverdacht.

Karam Khellas Thesen sind streitbar. Vielleicht löst sich das Buch deshalb beim Lesen in seine Teile auf. In Erinnerung bleibt das Buch über Gerhard Rohlfs, nach dem in Bremen-Nord eine Straße benannt ist, aber nicht nur deshalb.

ck

„Afrika-Reise – Leben und Werk des Afrikaforschers Gerhard Rohlfs“, Kulturreferat Bremen-Nord im Ortsamt Vegesack (Hrsg.), Bonn 1998, 28 Mark; erh. im Buchhandel und im Schloß Schönebeck