Ganz alltäglicher Katastrophencore

■ Joe Saccos „Stories from Bosnia“: Comics über die Nachkriegszeit, die den offiziellen Frieden Lügen strafen. „Everything was bloody...“

Comic-Zeichner, die sich zum jugoslawischen Bürgerkrieg zu äußern versuchten, haben sich bisher durchweg blamiert. Entweder entglitten ihnen ihre Bilder in simple Hetze, oder sie wollten den Überlebenskampf der Opfer als packenden Action-Thriller inszenieren. Den ersten ernstzunehmenden Versuch, die Geschehnisse in Bosnien in Comic-Form festzuhalten, hat nun der Zeichner Joe Sacco vorgelegt: als erster Teil einer „Stories from Bosnia“-Reihe ist seine Geschichte „Šoba“ erschienen.

Sacco hat sich Anfang der 90er Jahre als Autor „autobiographischer“ Comics einen Namen gemacht; in seiner Serie „Yahoo“ reüssierte er als Kritiker und Chronist der Berliner Hardcore-Szene. Das dort erprobte Genre des gezeichneten Erlebnisberichts hat er später zum Konzept „journalistischer“ Comics erweitert. In zwölf Heften unter dem Titel „Palestine“ schildert er seine Reisen nach Hebron und in den Gaza- Streifen. Mit beigefügten politischen Hintergrundinformationen erweiterte er die Comic-Fragmente zu einer subjektiven, gleichwohl äußerst reflektierten Ansicht des Konflikts zwischen Palästinensern und Israelis.

Diesen Stil des „dokumentarischen“ Comics hat Sacco in „Šoba“ erweitert. Er zeichnet sich als Besucher in Sarajevo – im Jahr 1995 hat er dort einige Monate im Dunstkreis der örtlichen Boheme verbracht. Titelheld Šoba, der dabei sein Gastgeber war, galt zu Friedenszeiten als der Chefunternehmer im Nachtleben der Stadt: ein neurotischer Twentysomething, der sich als Sänger einer Hardcore-Band die Seele aus dem Leib schrie. Den Ausbruch des Krieges hat Šoba als Katastrophe erlebt – aber auch als persönlichen Geltungsschub. Als Repräsentant der verzweifelten „Jugendkultur“ in Sarajevo wurde er zum beliebten Gesprächspartner für westliche Medien, von Spiegel bis Face. Seine derart exponierte Position in der belagerten Stadt hat ihn zugleich an diese gekettet. Selbst als er schließlich Gelegenheit dazu erhielt, mochte er das zerstörte Sarjevo nicht mehr verlassen. „Überall anders“, sagt er zu Sacco, „wäre ich ein Niemand.“

Sacco hat sich für diese unglücklichste Form des Kriegsgewinnlertums interessiert, weil sie für ihn die Tragödie der „Zwischenzeit“ im Jahr 95 emblematisch vorwegnimmt: „Der Krieg war im wesentlichen beendet; aber was an seine Stelle trat, wirkte nicht eigentlich wie Frieden.“ Um diesen Zustand zu fassen, braucht er nur wenige Erinnerungen ans Schlachtfeld zu zeichnen. Wenn Saccos Gewährsmann Šoba von platzenden Köpfen und zerfetzten Leibern berichten soll, sieht man ihn als Hobbymaler vor einer leeren Leinwand verharren: „Everything was bloody... like this picture.“

Meistens wird Šoba hingegen im Bohemeleben porträtiert. Sacco beobachtet ihn, wie er sich auf der Tanzfläche zeigt; er hört ihm zu, wenn Šoba mit der Gitarre im Übungsraum lärmt – oder mit seinen Freunden über bizarre Zukunftspläne bramarbasiert: parodistische Pornos drehen, mit einardcore-Band ganz Europa zu erobern, den in Kriegszeiten erworbenen Ruhm irgendwie über den Ausnahmezustand hinwegretten. Die Bilder der Bohemiens strafen ihre fröhlichen Pläne freilich Lügen: in den entleerten, müden Gesichtern hat sich die Zukunftslosigkeit unauslöschlich eingegraben. Zu den ausdruckslosen Opfergesichtern sind die Grimassen der Headbanger die einzige Variation. Doch wie sie auf der Tanzfläche zwischen Verzückung und Entsetzen changieren, ähneln sie in frappanter Weise den schreckgeweiteten Gesichtern aus dem Schützengraben. Sacco faßt das Geschehen in Parallelmontagen. Lärm, Rausch und körperliche Selbstentgrenzung rücken in eine bizarre Nähe zum zu vergessenden Krieg. Jens Balzer

Joe Sacco: „Šoba. Stories from Bosnia. No. 1“. Drawn & Quarterly Publications, Montreal 1998, 44 Seiten, 3,95 Dollar