Beruhigungspille Drei-Liter-Auto

■ Die autofreien Bürger halten nichts von sparsameren Modellen: Sie entwerfen lieber autofreie Stadtteile und Mega-Verkehrsverbünde

Bonn (taz) – Bürger ohne Auto sind eine mal belächelte, mal bedauerte Minderheit. Nach wie vor gilt der Erwerb des Führerscheins als Initiationritus der automobilen Gesellschaft. Trotzdem gibt es überzeugte Fußgänger, Radfahrer und Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel. Sie selber nennen sich selbstbewußt „autofrei“.

Viele der 150 „autofreien Bürger“, die vorgestern ihre erste bundesweite Konferenz in Bonn abhielten, schütteln den Kopf über die ökologischen Rückzugsgefechte der Grünen seit dem Magdeburger 5-Mark-Beschluß. Die Vertreter auf dem von vielen namhaften Verbänden wie Nabu, VCD, „Mobil ohne Auto“ oder Wuppertal-Institut unterstützten Kongreß sind schon viel weiter. Sichtbares Indiz des autofreien Bewußtseins sind Fahrräder aller Art vor der Godesberger Stadthalle: rostige Drahtesel, windschnittige Sitzräder und Rikschas für Lasten. Veranstaltungsinitiator Nikolaus Huhn sieht das Treffen als ersten Schritt: „Zunächst einmal sollen autofreie Bürger kommen.“

Die Verkehrswende im kleinen hat schon begonnen, wenn es auch noch ein langer Weg in die autolose Gesellschaft ist. Bei einem rationalen Einsatz des Automobils, so belegen Studien könne die bundesrepublikanische Gesellschaft mit nur einem Zehntel der 40 Millionen Autos auskommen. Car- Sharing- und „Statt-Auto“-Projekte, die es heute in jeder Groß- und Mittelstadt gibt, sind ein Anfang beim Abbau der Blechlawine. Und in vielen Fällen reicht schon der Ruf nach einem Taxi.

In beinahe 20 Städten sind autofreie Siedlungen in Planung oder gar schon realisiert. In Nordrhein- Westfalen machen seit Anfang Juni 950 Bürger bei der Kampagne „100 Tage ohne Auto“ mit. Sie haben sich verpflichtet, für diesen Zeitraum ihr Fahrzeug stehen zu lassen und dafür auf die Bahn umzusteigen. Für 99 Mark gibt es ein Ticket, das für alle Nahverkehrsmittel in NRW gilt.

Ob auch benzinsparende Fahrzeuge einen Beitrag zur Verkehrswende darstellen, ist dagegen bis in grüne Kreise hinein umstritten. Das Drei-Liter-Auto sei nur auf den ersten Blick „gut für die Umwelt und gut für die Wirtschaft“, kritisiert der grüne Bundestagsabgeordnete Albert Schmidt den Slogan seiner Parteikollegen. „Mit solchen Sedativa“, bringt es Schriftsteller Carl Amery auf den Punkt, „wird versucht, die Autokultur zu retten.“ Andere vom Auto verursachte Probleme bestehen aber weiter. So werden täglich 106 Hektar Fläche versiegelt. Jährlich sterben an die mehr als 8.500 Menschen durch Unfälle plus noch einmal geschätzt fünfmal so viele an den gesundheitsschädlichen Folgen des Verkehrs. „Bei jeder Investition im Verkehrsbereich, heißt es, es werde jetzt besser“, kritisierte Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim den ungehemmten Ausbau von Autobahnen und Tiefgaragen. Tatsächlich werde es immer schlechter, verstärke sich der Leidensdruck durch Abgase und Lärm für immer mehr Menschen. Markus Dufner