Politikwechsel auch gegen Rot-Grün durchsetzen

■ Bei dem Frankfurter Kongreß „Umverteilen und Demokratie“ stricken Studenten, Gewerkschafter und Erwerbslose an einem neuen Bündnis gegen „neoliberale Politik“

Frankfurt/Main (taz) – Plötzlich war Antonio Gramsci wieder da. Ein junger Student aus Berlin zitierte den lange verstorbenen italienischen Denker, der der Linken immer wieder mal aus der Patsche helfen mußte. Lennart Laberenz will nun Gramscis Hegemoniekonzept auferstehen lassen, um der „herrschenden neoliberalen“ Politik etwas entgegenzusetzen. Ein eigenständiges „linkes Reformprojekt“ wünscht sich nicht nur Laberenz. Rund 150 Studierende, Gewerkschafter und Vertreter von Arbeitsloseninitiativen trafen sich in Frankfurt zum Kongreß „Umverteilung und Demokratie“. Das Ziel: Gegengifte zum Neoliberalismus.

Der Neoliberalismus, das war Konsens bei dem Bündniskongreß in der Fachhochschule Frankfurt, „beherrscht“ heute quer durch die Bank alle Politikfelder. Ob Arbeitsmarktpolitik, Sozialsystem oder Bildungswesen, überall würde der Macht von Geld und Profit der Weg bereitet. „Soziale und politische Beteiligungsrechte werden dereguliert“, machte Thorsten Bultmann vom Bund demokratischer WissenschaftlerInnen am Hochschulrahmengesetz (HRG) deutlich: Wenn es im Bundestag verabschiedet werde, verlören Studierende Sitz und Stimme in den Entscheidungsorganen der Universitäten.

Beim näheren Hinsehen aber fand mancher der umverteilungswilligen Kongreßteilnehmer, daß auch rein neoliberal anmutende Reformen „ein paar Elemente enthalten, mit denen man vor Ort etwas anfangen kann“. Zum Beispiel das zunächst heftig kritisierte „Neue Steuerungsmodell“. Auf dieses Modell werden quer durch die Republik nicht nur die Stadtverwaltungen, sondern auch Schulen getrimmt. Die jahrhundertealte Kameralistik muß dabei schrittweise einer durchsichtigen und produktorientierten Haushaltswirtschaft weichen. Das Steuerungsmodell eröffnet Schülern und Lehrern mehr Mitsprache bei der Verteilung der Budgets, weil Schulräte und Ministerialbeamte nicht mehr allein über Geld und Personal verfügen. „Es wäre falsch, sich diesen Reformprojekten ganz zu versperren“, sagte eine Dortmunder Studentin.

Sie sprach über die Chancen des Instruments der „Noten für die Professoren“. Diese Bewertung heißt „Evaluation“ und ist fester Bestandteil der neuen Steuerungsmodelle. „Wir müssen die Evaluation aufgreifen und in unserem Sinne anwenden“, verwies sie auf den Politologen Peter Grottian – der seinen Professorenkollegen mit schlechten Noten mächtig einheizte.

Was die Dortmunderin nutzenswert fand, war einem Kommilitonen aus Gießen viel zuwenig: „Es geht um ein anderes Gesellschaftsmodell“, forderte er. Ein eigener Gesellschaftsentwurf ist aber nicht einmal in Umrissen erkennbar. Das wird am Verhältnis zum früher vielgescholtenen Staat deutlich. „Sollen wir uns jetzt zum guten Staat retten?“ wurde mehrfach verdattert gefragt, als dem neoliberalen Sozialabbau der fürsorgende Wohlfahrtsstaat entgegengehalten wurde. Ein Zurück zum Wohlfahrtsstaat gebe es nicht, so die Gewerkschafter aus dem Vorstand der IG Metall. Schon deshalb, weil der „paternalistische Züge hat und für die Einzelnen alles in die Hand nimmt“.

Während die neoliberale Politik, wie sie die Unternehmensverbände propagierten, „aus einem Guß ist“ (Bultmann), werkelt „die Linke“ noch isoliert voneinander. Mindestens Studierende und Gewerkschafter aber streben ein Bündnis an. Zwar wurde es nicht formell beschlossen „aber wir halten Kontakt zu den Studierenden“, betonte Axel Gerntke vom Vorstand der IG Metall. Studierende und Gewerkschafter müßten, so schloß Felix Stumpf von der Uni Gießen unter Beifall den Kongreß, einen „Politikwechsel auf der Straße durchsetzen – notfalls auch gegen eine rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder“. Christian Füller