: Nukem vertuschte Störfall: 300 Menschen verstrahlt
■ Gutachten der Staatsanwaltschaft richtet schwere Vorwürfe gegen Hanauer Atomfabrik: 1987 Explosion verschwiegen, Beschäftigte mit Plutonium kontaminiert
Frankfurt/Main (taz) – In der Hanauer Atomfabrik Nukem sind vor zwölf Jahren bei einem schweren Unfall rund 300 Beschäftigte verstrahlt worden. Das geht aus einem der taz vorliegenden Gutachten hervor, das im Auftrag der Hanauer Staatsanwaltschaft erstellt worden ist. Das Gutachten schrieben vier Experten im März dieses Jahres und übergaben es im April der Staatsanwaltschaft.
Daraus geht hervor, daß Nukem den Störfall vom Januar 1987 verschwiegen habe. Bei diesem „Explosionsereignis“ seien rund 300 Beschäftigte mit Plutonium kontaminiert worden, heißt es in dem Bericht. Die Hanauer Atomfabrik hat die Aufsichtsbehörden über Zeitpunkt und Ausmaß des Unfalls offenbar getäuscht. Nicht über das Ereignis vom 20. Januar 1987 wurde Bericht erstattet, sondern über einen harmloseren Vorfall Mitte Februar.
Daß Nukem einen Atomunfall habe vertuschen wollen, vermeldeten am vergangenen Freitag abend auch die ARD- „Tagesthemen“. Deren Bericht lag allerdings ein älteres Gutachten vom März 1997 zugrunde. Im Gegensatz zu dem neuen Bericht liegt dieses Gutachten auch dem hessischen Umweltministerium vor: angeblich erst seit Februar dieses Jahres. Die Sprecherin im grün geführten Ministerium, Renate Gunzenhauser, wies gestern Vorwürfe zurück, wonach das ältere Papier der Öffentlichkeit vorenthalten worden sei. Die Staatsanwaltschaft habe das Ministerium vielmehr gebeten, es unter Verschluß zu halten. Die hessische Atomaufsicht pflege „seit vielen Jahren“ den Kontakt mit der Hanauer Staatsanwaltschaft bei einem Ermittlungsverfahren gegen Nukem wegen des Verdachts auf „illegalen Umgang mit Kernbrennstoffen“.
Weil schon im Dezember 1997 auf einem Erörterungstermin die „These von einem verschwiegenen Unfall“ vorgetragen worden sei, habe das Umweltministerium schon damals das Öko-Institut eingeschaltet, sagte die Sprecherin weiter. Geprüft werden soll, ob Nukem – damals zu je 48 Prozent in Besitz von RWE und Degussa – die Vorschriften der Strahlenschutzverordnung eingehalten hat. Das neue der taz vorliegende Gutachten müsse von den Experten im Ministerium und im Öko-Institut erst noch ausgewertet werden. Die Staatsanwaltschaft Hanau hat inzwischen die Existenz dieses Papiers bestätigt. Nukem wies alle Vorwürfe zurück.
Der Atomexperte des Öko-Instituts, Lothar Hahn, ist an der laufenden Untersuchung beteiligt und rechnet „im Sommer“ mit einem Bericht. Er erklärte, in der Atomwirtschaft seien Vertuschungen „keine außergewöhnlichen Ereignisse“.
Da muß sich RWE- und Nukem-Chef Dietmar Kuhnt noch auf einiges gefaßt machen: Am Freitag hatte er Bundeskanzler Kohl versprochen, aus den Fehlern bei den verseuchten Transportbehältern zu lernen: „Wir haben eine Vertrauenskrise herbeigeführt“, sagte Kuhnt scheinbar zerknirscht. Da ging es nur um strahlende Castoren – jetzt geht es um verstrahlte Arbeitnehmer. Klaus-Peter Klingelschmitt
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