■ Ein abendfüllendes Unterhaltungsprogramm auf CD-ROM
: Was für Namen! Was für Eltern!

Seit meiner frühen Jugend haben mich Telefonbücher in Bann geschlagen. Allein den eigenen Namen ordentlich eingegliedert im Verzeichnis der Heimatstadt zu finden, empfand ich stets als sehr beruhigend: die Rückversicherung der eigenen Existenz schwarz auf weiß und jederzeit abrufbar. Aber auch die Vorstellung, daß sich hinter all den anderen Namen und Nummern reale Personen verbergen, die potentiell nur einen Anruf weit entfernt sind, hatte immer etwas milde Versöhnliches.

Die von der Vielfalt der Namen ausgehende Magie, die sich durch das Spiel der Kombinatorik von Vor- und Zunamen noch potenziert, ist mit den klassischen Mitteln der Semiotik überhaupt nicht angemessen zu beschreiben. Ebensowenig der Spaß, sich Namen auszudenken, und dann im Telefonbuch nachzuschlagen, ob es die betreffende Person wirklich gibt. Wenn man allerdings, wie ich lange Zeit, nur das Telefonbuch von Lüdenscheid zur Verfügung hatte, wurde das Spiel irgendwannn langweilig und geriet darüber in Vergessenheit. Erst jetzt, mit dem Erwerb einer CD-ROM, auf der alle Telefonbucheinträge der Republik – vermutlich von asiatischen Billigarbeitskräften mühsam von Hand eingelesen – gespeichert sind, erlebt dieser Zauber eine Renaissance. Zwar hätte man auch vorher zum Postamt gehen und alle Telefonbücher der Republik wälzen können, aber das wäre schlicht die Mühe nicht wert gewesen. Mit den Random-Access-Möglichkeiten dieser unscheinbaren Silberscheibe allerdings verdichtet sich schiere Quantität zu einer neuen Qualität, die die Beschäftigung damit zu einem abendfüllenden Unterhaltungsprogramm werden läßt.

Die große Überraschung: Es gibt sie wirklich! All die absurden Namen, über deren vage Existenzmöglichkeit man früher nur feixend konjekturieren konnte. Mit Einschränkungen zwar: Meine absoluten Favoriten Roy D. Gerkoeter und Eddie Kettenschwindel (letzterer, nebenbei bemerkt, die glorreiche Erfindung meines Bruders) werden wohl für immer bloß in unserer Phantasie fortexistieren. Aber alle erdenklichen anderen kommen vor, zumeist, wie man sich das immer ausgemalt hatte, als rare Unikate. Wer hätte etwa gedacht, daß es tatsächlich einen Reiner Zufall gibt? Wohnhaft übrigens in Heilbronn. Genauso wie jener kaum für möglich gehaltener Axel Schweiß aus Bärweiler. Was für Namen! Was für Eltern! Selbst eine Person mit dem bedauernswert anzüglichen namen Ute Russ wird prompt vom Programm ausgespuckt, und von der fast schon sprichwörtlichen Anna Naß gibt es gleich eine ganze Latte. Auch Martha Pfahl und Marion Nette existieren nicht bloß in unserer Phantasie. Siegfried Heils gibt es wie Sand am Meer, dafür nur einen Heimo Reich. Ernst Haft gibt es genauso ernsthaft wie Hans Wurst.

Insgesamt schlummern hier wohl noch ungeahnte Potentiale der kreativen Namensfindung, die nur auf ihren Abgleich mit der Realität warten. Ich weiß, daß es eigentlich nicht okay ist, sich über die Namen anderer Leute lustig zu machen, aber in diesem Fall handelt es sich ja um nichts weiter als frei zugängliche Informationen, die von Direktmarketingfirmen ebenso scham- und schonungslos mißbraucht werden; warum also nicht auch einmal zu Zwecken allgemeiner Erheiterung und einer wie auch immer gelinden Schadenfreude? Und ob es tatsächlich eine Wilma Ficken gibt, irgendwo da draußen, sollte an dieser Stelle vielleicht doch nicht ausgeplaudert werden. Nachher kann sich die Dame vor degoutanten Anrufern nicht retten, die kichernd „ich auch“ in den Hörer tröten und dann auflegen. Dafür möchte ich dann doch wirklich nicht verantwortlich zeichnen. Kleiner Tip nur noch: Ein Blick in das Telefonbuch von Ritterhude kann nie schaden. Holm Friebe