Bosnien wiederholt sich im Kosovo

Nato und EU spielen weiter auf Zeit und damit Milošević' Politik in die Hände. Bis Mitte Juli dürfte Belgrad alle Vertreibungs- und Teilungsziele erreicht haben  ■ Aus Genf Andreas Zumach

„Bosnien darf sich nicht wiederholen!“ Diese Beschwörungsformel, mit der Bundesaußenminister Klaus Kinkel und viele seiner westlichen Amtskollegen nun seit Wochen auf den blutigen Konflikt in der serbischen Provinz Kosovo reagieren, ist von der Realität längst überholt. Bosnien wiederholt sich. Bis aufs Detail gleichen sich die schon seit geraumer Zeit deutlich erkennbare Strategie des serbischen Aggressors ebenso wie die zwischen Hilflosigkeit und Komplizentum schwankende Reaktion der Nato- und EU-Staaten.

Ein wesentlicher Unterschied: Anders als 1992 steht das Instrument UNO – im Verlauf des Bosnien-Konflikts von seinen wichtigsten westlichen Mitgliedsstaaten (zugleich die führenden Nato- und EU-Länder) völlig diskreditiert und erheblich geschwächt – derzeit für ein Eingreifen nicht zur Verfügung. Deshalb beschränken sich alle Diskussionen auf Nato, EU und die als diplomatisches Bindeglied zu Rußland fungierende Kontaktgruppe.

Serbien schafft ungestört Tatsachen

Doch alle bislang beschlossenen und erwogenen Maßnahmen haben Belgrad nicht beeindruckt. Zum Teil können sie vom jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević sogar als Signal verstanden werden, mit seiner Kosovo-Politik fortzufahren. Das von der Kontaktgruppe verhängte Lieferverbot für Waffen und Polizeiausrüstungen wird bis heute nicht konsequent durchgesetzt. Es hätte angesichts der großen Vorräte Belgrads sowie der vorhandenen Produktionskapazitäten in Serbien ohnehin erst sehr langfristig eine Wirkung. Die verschiedenen Wirtschaftssanktionen, die seit Februar beschlossen wurden, haben bisher überhaupt keine Auswirkungen gezeigt oder sind noch gar nicht in Kraft getreten. Ein Teil wurde angedroht im Zusammenhang mit einem Ultimatum an Belgrad, sich auf Verhandlungen mit den Albanern unter Beteiligung eines internationalen Vermittlers einzulassen. Als Milošević sich konsequent weigerte und sich nur zu Direktgesprächen mit Albanerchef Rugova bereit erklärte, wurden die Sanktionen zur Belohnung teilweise wieder suspendiert.

Vor diesem Hintergrund wird das gestern von den EU-Außenministerien verhängte Investitionsverbot Belgrad kaum veranlassen, den Vertreibungskrieg gegen die albanische Zivilbevölkerung im Nordwestkosovo einzustellen. Ziel dieses Vorgehens ist es, dieses rohstoffreiche Drittel des Kosovo- Territoriums vollständig unter serbische Kontrolle zu bringen und auf dieser Basis dann die Teilung der ehemals autonomen Provinz durchzusetzen. Warum sollte die nunmehr seit Wochen von der Nato immer wieder aufs neue diskutierte Option der Stationierung von Truppen an den Grenzen Albaniens und Mazedoniens zum Kosovo Milošević dazu bewegen, den Krieg zu beenden?

Belgrad hat sehr genau registriert, was das wesentliche Interesse hinter der Stationierung von Nato-Truppen wäre: „Am wichtigsten ist es, alles zu tun, damit die albanischen Flüchtlinge in der Region bleiben und nicht nach Deutschland kommen“, erklärte Kinkel auf der gestrigen EU-Außenministerkonferenz. Milošević kann sich sogar ausrechnen, daß die Nato-Truppen nicht nur die Flüchtlingstrecks durch (mit der Regierung von Mazedonien bereits vereinbarte) Korridore in Auffanglager schleusen, sondern umgekehrt auch jeglichen Nachschub an Waffen und Kämpfern aus Albanien und Mazedonien für die „Untergrund-Befreiungsarmee“ der Kosovo-Albaner unterbinden.

Und dann kann Holbrocke kommen

Das Szenario der nächsten vier Wochen ist absehbar: Während die Aufmerksamkeit der Menschen in Serbien und im Rest der Welt von der Fußball-Weltmeisterschaft absorbiert wird – darunter die sicherlich spannenden Spiele Restjugoslawiens gegen Deutschland, die USA und Iran –, vollenden die serbischen „Sicherheitskräfte“ ihr Vertreibungswerk im Nordwestkosovo. Mitte Juli könnte dann ja US-Unterhändler Richard Holbrocke in die Region reisen, um die geschaffenen Teilungsfakten mit einem „Friedensvertrag“ zwischen Belgrad und Priština zu besiegeln.