Herbstvorschau Von Carola Rönneburg

„Wir sind arm!“ betitelte die Bravo vor kurzem eine Reportage über Jugendliche, deren Familien auf Sozialhilfe angewiesen sind. Am Beispiel der 14jährigen Anita und ihrer Geschwister rechnete die Jugendzeitschrift vor, was einer siebenköpfigen Familie zum Leben bleibt, wenn der Vater arbeitslos wird: 900 Mark. „Plötzlich kamen nur noch Nudeln auf den Tisch, der alte Fernseher wurde zum dritten Mal repariert, und Kinobesuche und Urlaub waren gestrichen“, erzählt das Mädchen. Eine erste kritische Leserreaktion auf das Thema erfolgte wenige Ausgaben später. Als „voll daneben“ stufte Hanna T. aus Ingolstadt den Bericht ein. „Wer sich einen teuren Eastpack-Rucksack und mehrere Fernsehreparaturen leisten kann, ist doch nicht so arm dran, oder?! Außerdem sind die Zimmer der Kinder nicht gerade klein. Und Anita kann sich mit 10 Mark Taschengeld die Woche doch locker einen Kinobesuch leisten!“

Daß Jugend und Dummheit oft einhergehen, ist bekannt, und die kleine Hanna wird sicherlich noch dazulernen. Ob sie aber von ihrer Definition der Armut abrückt, ist zu bezweifeln. Als arm und damit wahrhaft unterstützungswürdig gilt hierzulande nur, wer sich nichts mehr gönnt. So geraten nicht nur urlaubende Sozialhilfeempfänger immer wieder ins Visier der Boulevardzeitungen – selbst ein rauchender Bettler muß sich, wie ich dieser Tage beobachtete, einen Vortrag über seinen Lebenswandel anhören. „Solange Sie Geld für Zigaretten haben,“ teilte eine Mittvierzigerin schicken Zuschnitts dem Mann mit, „werden Sie sich auch noch eine Suppe leisten können.“

Und wer noch nicht auf der Straße sitzt, kann sogar ein schönes und gesundes Sozialhilfeempfängerdasein führen. Den Beweis hierfür wird im August die Düsseldorfer Journalistin Regine Hauch antreten. Sie veröffentlicht im Eichborn-Verlag ein „verblüffendes Tagebuch“. In seiner Herbstvorschau kündigt der Verlag ihr Buch „Von Sozialhilfe leben“ wie eine Neuauflage von „Spiele ohne Grenzen“ an: „Familie H. wollte es wissen und hat es ausprobiert: Wie ist das eigentlich, wenn man mit wenig Geld auskommen muß, wenn die Bedürfnisse einer fünfköpfigen Familie das monatliche Haushaltsbudget erheblich übersteigen und man nicht weiß, wovon man die nötigsten Anschaffungen bezahlen soll? Einen Monat lang hat Familie H. nicht mehr ausgegeben, als einer fünfköpfigen Familie an Sozialhilfe zusteht.“

Einen ganzen Monat! Dreißig, ja, womöglich einunddreißig Tage lang hielten die H.s diese „künstliche Zwangslage“ durch, entwickelten „immer neue, oft überraschende Sparmöglichkeiten im Alltag“ und entdeckten „die Tugenden einer vorausschauenden Budgetplaung“. Mehr noch, Regine Hauch gelang es dabei sogar, ihre drei Kinder nebst Mann gesund und preiswert zu bekochen. Ihr Fazit aus diesem aufregenden „Familienexperiment“ – so der Untertitel des Buches – lautet: „Wer sein Budget klug einteilt, kann auch mit wenig Geld über die Runden kommen.“ Alle anderen, die an Familienlangzeitexperimenten teilnehmen und scheitern, sind also selbst schuld.

Man soll seinen Mitmenschen nichts Böses an den Hals wünschen. Wer aber die Neue Armut als sportliche Herausforderung verkaufen will, dem gönne ich ein paar Jahre Trainingslager.