Besonders Baufirmen fürchten den Fußball

■ Asiatische Unternehmen befürchten Produktionsrückgang während der WM. 1,3 Milliarden Dollar sollen schätzungsweise allein in Thailand in illegalen Wettgeschäften umgesetzt werden

Bangkok (taz) – Vietnamesische Bauarbeiter, die vor Müdigkeit vom Gerüst fallen, thailändische Bankangestellte, die morgens im Bett bleiben, und indonesische Studenten, die zu erschöpft sind, um weiter zu demonstrieren – die Folgen der WM für Asien sind noch nicht abzusehen. Wenn in Frankreich heute angepfiffen wird, machen Millionen Fußballfans im Fernen Osten vor ihren Fernsehern die Nacht zum Tage: Durch die Zeitverschiebung beginnt das Match Brasilien gegen Schottland um 22.30 Uhr. Marokko tritt um zwei Uhr morgens gegen Norwegen an. Daß unter den beteiligten Nationalmannschaften nur drei aus Asien sind (Japan, Süd-Korea, Iran), mindert die Fußballbegeisterung in der Region keineswegs. Wer momentan in Bangkok auf die Frage „Woher kommen Sie?“ mit „Aus Deutschland“ antwortet, dem schmettern Taxifahrer oder Kellner begeistert „Matthäus! Klinsmann! Bierhoff!“ entgegen.

Trotz der Wirtschaftskrise gingen Fernsehgeräte mit großen Bildschirmen in den letzen Wochen weg wie warme Semmel – ebenso wie WM-Zubehör. Eine thailändische Firma, die offizielle Maskottchen produziert, hat vom Außenministerium einen Orden wegen „Erhöhung des Rufes Thailands im Ausland“ erhalten. Karaoke-Bardamen in der thailändischen Hauptstadt sind mit Fußballerhemden ausgerüstet worden, Restaurants und Kneipen bieten Rabatte beim Spielegucken.

Das Interesse zwischen Hongkong, Ho-Chi-Minh-Stadt und Surabaya hat aber noch einen eigenen Hintergrund – die Wettleidenschaft vieler Asiaten. Zwar ist das Glückspiel in vielen Ländern verboten, doch die illegalen Buchmacher und hoffnungsvollen Spieler sind nicht kleinzukriegen. 1,3 Milliarden Dollar fließen in diesen Tagen allein in Thailand durch die WM-Untergrund-Lotterien, schätzte jüngst eine große Bank. Wenn die Zuschauer in einem Nudelshop in Nakhon Ratchasima beim Tor von Holland gegen Belgien jubeln, dann wird das daher nicht unbedingt nur aus sportlicher Freude geschehen.

Um die unliebsamen WM-Aktivitäten einzudämmen, hatte die Stadtregierung von Ho-Chi-Minh- Stadt verlangt, daß alle Bars und Restaurants eine Lizenz beantragen, wenn sie Spiele live zeigen wollten. Doch nach heftigem Protest fußballbegeisterter Anwohner strichen die Beamten diese Regelung Anfang der Woche wieder.

Behörden und private Bosse in Thailand versuchen derzeit, ihre Angestellten davon zu überzeugen, daß sie bis zum 13. Juli nachts lieber schlafen als Fußballgucken sollen: Wer regelmäßig morgens zu spät zur Arbeit kommt, muß damit rechnen, nicht befördert zu werden, warnte zum Beispiel die Chefin des Gesundheitsamtes in Bangkok, Siriporn Kanchana. Die Musikfirma Onpa will laut der Bangkoker Zeitung Nation möglicherweise alle TV-Geräte aus ihren Büros entfernen, damit die Nachtschicht nicht abgelenkt wird.

Besonders besorgt sind die Manager von Baufirmen, berichtet die Vietnam Investment Review. In Saigon zum Beispiel kommen „viele Arbeiter aus den benachbarten Provinzen, haben ihre Familie nicht dabei und verbringen die Zeit vor dem Fernseher mit einer Flasche Bier zur Begleitung“, berichtet das Blatt. Ein Bauleiter: „Ich weiß nicht, wie die Arbeiter es schaffen werden, sich am Gerüst festzuhalten. ... Es wird wirklich eine gefährliche Zeit.“ Jutta Lietsch