Irgendwo zwischen Himmel und Hölle

■ Claudia Heuermanns exzellenter Musikfilm Sabbath In Paradise: Klezmer, was sonst?

Am Anfang und Ende steht das „Ahhh!“ Zunächst als ein langgezogenes Stöhnen, mit dem der Jazzer Anthony Coleman im Studio eine Klezmer-Improvisation zu beleben sucht. Zum Schluß taucht es dann noch einmal auf. „Ahhh!“ als ungläubiges Staunen in der Parabel vom alten Zaddik, dem jüdischen Weisen, der am heiligen Sabbat seinen Mund nicht halten kann und deshalb aus allen paradiesischen Träumen gerissen wird. Zwei Seufzer und dazwischen viele Antworten auf die eine, bestimmende Frage, die sich Claudia Heuermann für ihr Regiedebüt Sabbath In Paradise gestellt hat: Was ist jüdische Musik? Über zwei Jahre war die Berliner Filmemacherin dieser Frage auf der Spur und bekam immer die gleiche Antwort: Klezmer, was sonst? Jene Tradition der osteuropäischen Juden, die in ihrer Rührseligkeit gerade hierzulande den romantisierenden Blick an der Katastrophe vorbei auf das quasi heile Leben im untergegangenen Schtetl lenkt. „Die Deutschen mögen an der jüdischen Kultur besonders den Schmalz“, erzählt Anthony Coleman in einer der vielen Interviewpassagen. Das Motto eines Schmetterlingssammlers: Um etwas zu lieben, muß es tot sein.

Nicht so in New York. Dort entdeckte Claudia Heuermann im jüdischen Alltag die erfolgreiche Wiederbelebung des Klezmer und somit die Fortschreibung, aber auch erneute Suche nach kultureller Identität. Ein Alltag, der einerseits von religiösen Riten und Gebräuchen geprägt ist, von singenden Rabbis und schwarzgewandeten Orthodoxen, die im Sabbat ihre allwöchentliche Erfüllung finden. Fast zeitlose Schwarzweiß-Aufnahmen zeugen von einer chassidistischen Parallelwelt mit Klezmer als Mittler zwischen Himmel und Erde. Während sich zur selben Zeit in der Lower East Side die Avantgardisten treffen und nicht umhinkommen, diese Traditionen an der Religion vorbei in eine musikalische und gesellschaftliche Moderne zu überführen. Wie sehr darf man mit einer Tradition spielen? Ist jüdische Musik ohne Religion überhaupt denkbar? Ja, sagt sich John Zorn und bläst in der Knitting Factory mit seinem Freejazz-Ensemble Masada eine uralte Musickultur über den Haufen ihrer eigenen Geschichte.

Mit Sabbath in Paradise kommt nach Julian Benedikts Porträt des Blue-Note-Labels und dessen Gründers Alfred Lion bereits die zweite deutsche Dokumentation ins Kino, die die jüdischen Wurzeln der New Yorker Jazz-Szene aufspürt. Doch während Benedikts Betrachtung einzig die historische Opferrolle betont, blickt Heuermann nach vorn. Das Bekenntnis zur jüdischen Tradition gilt in New Yorker Künstlerkreisen längst als ziemlich hip. So sind es vor allem die Zitate der Musiker und die Art und Weise, wie diese sich selbst als Juden verstehen, die mehr über die Identitätssuche verraten als jede historische Analyse. So weist der Pop-Avantgardist Marc Ribot alle Zuschreibungen von sich und plaudert viel lieber über seine Gitarrensammlung, während Anthony Coleman mit Chuzpe und Scharfsinn über die Gemeinsamkeiten von Jazz und Klezmer berichtet. Die nüchternen Anmerkungen des fest in der religiösen Tradition verwurzelten Klarinettisten Andy Statman bilden wiederum die historische Brücke zur parallel montierten Geschichte des alten Zaddik. Sein „Ahhh!“ beendet dann Traum und Film. Beim Betrachter indes hält sich das Staunen noch lange.

Michael Hess

Do, 11. bis Mi, 17. Juni, 20.30 Uhr, 3001-Kino