Mon Dieu Mondial
: Adler befreien

■ Nigerias Fußball und was er bedeutet. Politisch-touristische Mutmaßungen

Ehe ich zu einem Presse- workshop nach Nigeria fuhr, hielt ich es für geboten, mich mit der Mannschaft der Super Eagles, so der Beiname des einheimischen WM-Teams, vertraut zu machen. Ganz Afrika ist fußballverrückt, dachte ich mir, und die Nigerianer sind die schlimmsten. Wenn man sich nicht blamieren will, weiß man besser einigermaßen bescheid über Finidi George, Sunday Oliseh, Celestine Babayaro und all die anderen. Schon auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel in Lagos fand ich meine Ansicht bestätigt. Unter Autobahnbrücken kickten barfüßige Kinder, träumend vom Durchbruch im grün-weißen Dreß der Adler. Immer dieselbe Geschichte. Rasanten sozialen Aufstieg bewerkstelligt man am schnellsten mittels flinker Füße.

Die lagosianischen Zeitungen vom Guardian über Punch bis This Day setzten mich schnell in Kenntnis über die bevorstehenden Desaster. Es stand nicht gut um Boras Buben. Null zu vier gegen Grashoppers, null zu drei gegen Jugoslawien. Die flügellahmen Adler blamierten sich kräftig im Trainingsquartier in der fernen Schweiz.

Was er von Bora (Milutinovic) halte, dem Serben mit dem Kassenbrillengestell aus den siebziger Jahren, wollte ich von Nduka Otiono wissen, Schriftsteller und Kulturjournalist beim Post Express in Lagos. „Quite a good coach“, antwortete er höflich, um gleich wieder auf unser Gespräch über deutsche Lyrik zurückzukommen. Fußball interessiere ihn eigentlich gar nicht. Im Gegenteil, ein Erfolg der Super Eagles bei der Weltmeisterschaft stärke nur „this man“, wie General Sani Abacha meist genannt wurde. Den Namen des Diktators sprach in dem Land, in dem man fast alle freundschaftlich beim Vornamen nennt, niemand gern aus. Mit meiner Begeisterung für die Eagles stand ich plötzlich ziemlich dumm da.

Fußballtore von Kanu und Taribo West helfen dem Diktator nun nicht mehr. Am Montag ist Sani Abacha an Herzversagen gestorben. Dabei hatte er große Hoffnungen in die WM gesetzt. Richtig staatsmännisch hatte er sich im Vorfeld der Spiele gegeben. Während er sich zu wirtschaftlichen und politischen Fragen in der Regel in diktatorisches Schweigen hüllte, äußerte er sich zur WM erstaunlich afrikabündisch. Die Teams aus Kamerun, Tunesien, Marokko, Südafrika und Nigeria sollten für die gemeinsame afrikanische Sache streiten. Die Spiele zum Afrika-Cup in Südafrika hatte Abacha noch boykottieren lassen. Und jetzt das: Fünf Freunde müßt ihr sein. Warum nur muß Fußballsprache immer so unangenehm universell sein?

Wenn die im deutschen Feuilleton seit Jahren geübte Durchdringung und Verschlingung von Fußball und Politik nicht ganz daneben ist, dann wird man am Auftreten der Super Eagles einiges ablesen können. Sind befreit aufspielende Nigerianer in den nächsten Wochen ein Ausdruck für ein neues Demokratiewollen im Lande? Oder dienen siegende Eagles am Ende doch wieder nur dem neuen starken Mann im Land, Abubakar? Und geht aus Okochas Dribblings hervor, was der überhaupt will? Wir werden genau hinschauen müssen. Die einfache Formel vom linken und rechten Fußball, die einst Argentiniens Trainer Cesar Luis Menotti aufstellte, hat in der Praxis nie so recht funktioniert. Schon 1994 und 1996 hat Nigeria linken, d.h. kreativen, intelligenten Angriffsfußball gespielt und damit seine rechte Militärdiktatur gestützt.

Andererseits lehrt die Fußballgeschichte, daß Diktatoren selten Glück mit Ballspielen hatten. Das einzige Spiel, das Hitler je gesehen hat, war die Niederlage gegen Norwegen bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Danach ging er lieber zur Leichtathletik und sah im Olympiastadion Jesse Owens siegen. Harry Nutt

Der Autor ist Kulturredakteur der taz