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Knüllverse in rotem Leinen

■ Textrecycling: Im zehnten Todesjahr von Erich Fried erreicht die postume Vermarktung des Dichters ihren flachsinnigen Höhepunkt

Der Dichter Erich Fried verdankt seinem Verleger Klaus Wagenbach eine Menge. Kaum eines seiner Gedichte, für das sich im Hause Wagenbach nicht irgendwann ein Gedichtband gefunden hätte. Rund 20 Fried-Titel umfaßte das Gesamtverzeichnis des Verlages, als Erich Fried im November 1988 starb. Seither ist neben der vierbändigen Werkausgabe von 1993 ein rundes Dutzend hinzugekommen, mehr als ein Fried-Titel pro Jahr. Denn natürlich verdankt auch der Verleger Klaus Wagenbach dem Dichter Erich Fried sehr viel: Seine Gedicht- und Prosabände haben eine feste Leserschaft und garantieren einen festen Umsatz.

So erschienen schon ein Jahr nach Frieds Tod in der in rotes Leinen eingebundenen Reihe „Salto“ gesammelte Gedichte unter dem Titel „Gründe“. Ein weiteres Jahr später konnte man in gleicher Aufmachung den schmalen Leinenband „Als ich mich nach dir verzehrte“ mit Liebesgedichten erwerben, die allerdings zu einem nicht geringen Teil auch schon in den „Gründen“ enthalten waren: Textrecycling in edler Aufmachung.

In diesem Frühjahr nun ist als Auftakt einer ganzen Reihe von geplanten Publikationen zum zehnten Todesjahr Erich Frieds – im Herbst sollen die gesammelten Werke im Taschenbuch und eine Erich-Fried-Chronik erscheinen – ein neuer Fried-Titel erschienen, der die allzu eifrige postume Vermarktung des Autors weiter in Frage stellt. Unter dem Titel „Die Schnabelsau“ hat Frieds Nachlaßverwalter Volker Kaukoreit zusammengestellt, was er als „Leilie- der und Knüllverse“ bezeichnet: Nonsensverse und Reimpossen, Blödsinnsgedichte und Pop-Poesie für den kleinen Hunger zwischendurch; aus ihnen spricht bisweilen kaum mehr als die pure Lust am funktionierenden Reim.

„Der Hauptberuf der Schnabelsau ist daß sie reimt auf Kabeljau“, verkündet folglich der Buchrücken. Ähnlich flachsinnig geht es auch zwischen den abermals roten Leinendeckeln weiter. Unangenehm fällt nur auf, daß der Verlag durch die allzu edle Aufmachung und der Herausgeber durch sein bemüht philologisches Vorwort diese Zufallsprodukte einer Massenproduktion durch ein Gewicht zu nobilitieren versuchen, das die Texte beim besten Willen nicht auf die Waage zu bringen vermögen. So wirkt es bestenfalls absurd, wenn Kaukoreit in seinem Nachwort fordert: „Darüber hinaus sollte in diesem Zusammenhang auch an Frieds schon frühe Beschäftigung mit der Psychoanalyse erinnert werden.“ Des Kaisers neue Kleider lassen grüßen. Sollte die Vermarktung des Friedschen Textnachlasses ähnlich hemmungslos weitergehen, droht zum 80. Geburtstag des notorischen Aufbewahrers in drei Jahren wahrscheinlich eine gebundene Ausgabe seiner gesammelten Einkaufszettel in blauem Maroquin. Stefan Koldehoff

Erich Fried: „Die Schnabelsau – Leilieder und Knüllverse“. Herausgegeben von Volker Kaukoreit. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1998, 80 Seiten, 22,80 DM

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