Tod, Zerstörung, Isolation

■ Am 4. August beginnt das 12. Internationale Sommertheater auf Kampnagel / Festivalleiter Gabriele Naumann und Dieter Jaenicke zu den Schwerpunkten

taz: Wenn wir uns die zentralen Themen des diesjährigen Programmes ansehen, dann fällt auf, daß die Themen Tod, Zerstörung und Isolation bei Dreiviertel aller Produktionen im Mittelpunkt stehen. Was war die konzeptionelle Überlegung hinter dieser thematischen Ballung?

Dieter Jaenicke: Meine Hoffnung mit diesem Programm ist es, daß es eine schöne, manchmal auch richtig leichte Stimmung erzeugen kann, ohne daß man irgendwelchen Themen ausweicht. Im letzten Jahr sind die Zuschauer bei manchen Produktionen vielleicht etwas hilflos entlassen worden. Ich glaube, daß das dieses Jahr nicht passieren wird und zwar gerade bei den Produktionen, bei denen Tod, Zerstörung und Isolation ganz deutlich als Thema zu erkennen sind.

Wie wird das erreicht?

DJ: Im Gegensatz zum letzten Jahr wird die Behandlung dieser Themen formal sehr viel weniger schwer und pessimistisch sein. Selbst Bill T. Jones bricht bei seiner Reflexion über Aidskranke am Rande des Todes die wirklich schockierenden Bilder mit einer hochästhetischen Tanzform. Und so gelingt es ihm, daß man trotz der bedrückenden Bilder nicht völlig niedergeschlagen aus dem Stück kommt. Und diese Verbindung – ein so wichtiges Thema trotzdem mit einer gewissen Leichtigkeit behandeln zu können – ist etwas, das wir uns eigentlich immer gewünscht haben. Das gleiche gilt für das Stück 2 von Lalala Human Steps, eine Reflexion über das Altern, deren Ziel es aber nicht ist, daß der Zuschauer daran verzweifelt, daß er irgendwann krank und hinfällig im Bett liegt.

Ihr seht es aber auch so, daß die Themen um Tod und Zerstörung in der internationalen Performing Arts-Szene vehement in den Vordergrund gekommen sind?

Gabriele Naumann: Ja, sicher. Aber das wichtige daran ist dieser vermittelnde, optimistische Aspekt. Den siehst du auch bei Meg Stuart. Sie ist eine der ganz wenigen Persönlichkeiten, die völlig unideologisch über die Verlorenheit des Individuums mit einer derartigen Liebe und Liebessehnsucht spricht, daß das Plakative verloren geht. Dem fehlt das Destruktive, Aggressive, vielmehr ist die Zustandsbeschreibung mit dem Prinzip Hoffnung verbunden.

DJ: Auch die spanische Produktion von Mal Pelo zeigt in diese Richtung. Ich war zu Tränen gerührt, wie Pep Ramis in diesem Stück mit dem Tod seines Vaters umgeht: Er entläßt einen mit einem Schmunzeln. Und das ist das Schönste, was aus einer Verarbeitung des Todes herauskommen kann. Diese Grundstimmung ist vielleicht der Rote Faden des Programms. Wobei das nicht unser konzeptioneller Ansatz war. Wir haben nicht nach diesem Thema gesucht. Wir haben uns überhaupt mutwillig und bewußt dieses Jahr kein Thema gesucht.

Ist das eine Lehre aus den vergangenen Jahren?

GN: Das Resultat der vergangenen Jahre ist vielleicht, daß wir heute unideologischer bei der Auswahl sind, weniger den Zeigefinger heben. Wir sehen mehr auf die Stärken der einzelnen Künster und versuchen nicht mehr, künstlich Verbindungslinien zu schaffen. Es geht uns mehr um die Betonung verschiedener Kulturen und die Gleichberechtigung zwischen den Kunstformen, als um die Schaffung von Hirarchien. Und das kann nur über Vergleichsmöglichkeiten gelingen.

Das, was Ihr jetzt als unideologisch beschreibt, kann natürlich negativ auch formuliert werden als das Begräbnis jeden politischen Anspruchs, also der Rückzug auf die individuelle Geschichte. So scheint mir die chinesische Compagnie Xi Ju Che Jian mit ihrem Stück über die staatlichen Kontrollakten der chinesischen Bürger die einzige Gruppe zu sein, die einen politischen Anspruch noch formuliert.

GN: Wir versuchen nicht mehr, einen irrwitzigen politischen Anspruch zu stellen, weil wir glauben, daß die Themen, die die Künstler haben, stark genug sind. Ein Individuum ist immer Teil eines gesellschaftlichen Kontextes, und das ist bei den Chinesen sicherlich am stärksten. Aber das ist auch eine Frage des Blickwinkels.

DJ: Wenn man die Diskussion sieht, die Bill T. Jones Projekt in den USA ausgelöst hat, dann scheint mir das nicht minder eine hochpolitische Aktion zu sein. Unter dem Blickwinkel, daß der Begriff von Politik sich nach der jeweiligen Gesellschaft definiert, erscheinen mir dann sehr viele Stücke und Themen sehr politisch.

Wie kam es zu den formalen Schwerpunkten: Tanz, Musik und nordamerikanische Projekte?

DJ: Wir haben jede einzelne Produktion aus sich heraus diskutiert und als das Programm fertig war selbst etwas erstaunt festgestellt, daß wir sehr viel Amerika, Musik und Tanz haben.

Wie ist die finanzielle Situation des Festivals?

DJ: Wir bekommen an Subventionen das gleiche wie in den letzten Jahren, 1,3 Millionen. Die Summe, die wir aus Sponsoring bekommen, ist radikal zurückgegangen, so daß unser Etat knapp 350.000 Mark unter dem des vorigen Jahres liegt. Darauf haben wir reagiert, indem wir nicht mehr vier Hallen bespielen und Montag spielfrei machen. Das ist deswegen eine deprimierende Situation, weil unsere Fähigkeit der letzten Jahre, aus sehr begrenzten Mitteln ein Höchstmaß an künstlerischer Qualität zu entwickeln, ein bißchen als Falle zurückschlägt. Bei uns kann man nichts abspecken. Schon Stagnation trifft uns völlig anders als die Staatstheater, die in ihren Etats unglaublich viel Luft haben.

Auch in der nationalen Dimension ist das eine gefährliche Entwicklung, denn das Sparen hat inhaltliche Auswirkungen, die bestimmte Bereiche viel, viel schlimmer treffen, als andere. Jede Form von Querdenken hat hier die schwächste Position. Deswegen muß das staatliche Geld strukturell anders verteilt werden. Wenn man weiterhin so überproportional viel Geld in die Staatsbetriebe pumpt, wird das zwangsläufig zu einer unglaublichen Verarmung der Kultur führen. Was dann übrig bleibt ist Wiederholungskultur.

Fragen: Till Briegleb und Dirk Knipphals