Wenn das Telefon dreimal tutet

■ Mit der Vernetzung von niedergelassenen Ärzten wollen die Kassen Krankenhäuser trockenlegen. Ein Vortrag an der Bremer Universität

Auslöser war ein Papier aus dem Haus von Bremens Gesundheitssenatorin Tine Wischer. Ihr Mitarbeiter Matthias Gruhl hatte einen Bericht geschrieben über die ambulante ärztliche Versorgung in der Stadt Bremen. Rainer Müller, Sozialmediziner am Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen, nahm dies jetzt zum Anlaß in seinem Gesundheitspolitischen Kolloquium mit allen Parteien über Fragen der ambulanten Versorgung nachdenken zu lassen.

Mitte dieser Woche war Hermann Schulte-Sasse zu Gast: Es war ein Heimspiel des Stabsleiters „Medizin“ im Bonner AOK-Bundesverband. Lange war der smarte Mediziner in der pharmakologischen Abteilung des Bremer Sankt Jürgen Krankenhaus tätig gewesen, bevor er zur AOK wechselte.

Eingeladen worden war Schulte-Sasse, um über seine Erfahrung mit der Vernetzung von niedergelassen Ärzten in Deutschland zu berichten. Konkreter: Von den eher zarten Modellpfänzchen in Deutschland, die er für seinen Arbeitgeber, die AOK, in den vergangen Jahren ankurbelte, um die Krankenhausaufenthalte seiner Versicherten zu verkürzen. Die nämlich kosten Geld und sind oft ganz unnötig, finden die Krankenkassen. Da gibt es zum Beispiel in Frankfurt das Experiment mit Krankenschwestern, die im Dienst der Krankenkassen gemeinsam mit den Hausärzten PatientInnen beraten. Casemanagement heißt das neudeutsch – und soll Arzt-Besuche mindern und eine Überweisung ins Krankenhaus unnötig machen. Doch die Herz-Kreislauf-PatientInnen im Frankfurter Modelprojekt, so Schulte-Sasse bedauernd, hielten sich oft nicht an die Telefontermine, die hochqualifizierten Krankenschwestern tuteten häufig ins Leere.

Auch bei Schulte-Sasses Lieblingsprojekt in Thüringen ist der PatientInnen-Goodwill das A und O fürs Gelingen. Im Mittelpunkt standen Diabetes-Fälle. Der Clou der Geschichte: Die Bezahlung sowohl der Hausärzte als auch der Diabetes-Fachärzte wurde an ein streng definiertes „qualitätsgerechtes Verhalten“ gekoppelt. Ein fester Kriterienkatalog, der vorschrieb, unter welchen Bedingungen die Überweisung an den Facharzt oder gar ins Krankenhaus – vor allem die Rückkehr zum Hausarzt – angesagt ist. Aushebeln wollte die AOK damit die alte Hausärzte-Erfahrung mit PatientInnen, die sie an Fachärzte überwiesen hatten: „Vom Feindflug nicht zurückgekehrt.“ Ein thüringer Experiment mit guten Erfolgen, findet der Stabsleiter Medizin; nur gebe es leider kaum Möglichkeiten, die Erkenntnisse von dem Diabetes auf weitere Bereiche der Medizin zu übertragen: Denn wo sei man sich sonst schon noch so einig über die Behandlungsmethoden?

Monokausale Denkmuster und ein veraltetes Bild vom „gehorsamen Patienten“ waren denn auch die Hauptvorwürfe, die der Referent aus dem Publikum zu hören bekam. „Was 'Qualität' ist, bestimmt nicht das System, sondern die PatientIn, mit ihren Wünschen“, formulierte pointiert einer der Zuhörer: Wenn ein Diabetiker sich weigere, die strengen Vorschriften einzuhalten, sei dies gegebenenfalls seine persönliche Entscheidung für eine bessere Lebensqualität – im Falle des vorgestellten Modellprojektes hieße das, daß seinem Hausarzt wegen 'falscher Behandlung' die Zuwendungen gekürzt werden – oder wolle die AOK dann etwa dem Patienten an den Kragen gehen? Dies verneinte Hermann Schulte-Sasse kategorisch. Ziel der Modellprojekte „vernetzte Praxen“ sei es Krankenhausbetten einzusparen. Je mehr, desto besser. Und natürlich nicht auf Kosten der PatientInnen. ritz

Die nächste Veranstaltung „Ethik und Medizin“ ist am 24. Juni um 20 Uhr im Barkhof Raum 3260.